Stille Nacht – und das nicht nur zur Weihnachtszeit
Wie jedes Mal zu dieser Jahreszeit ist mir wieder meine CD mit Weihnachtsliedern in die Hände gefallen. Ich habe sie schon an einem Abend vor Weihnachten aufgelegt, um mich an dem schlichten und zugleich erhabenen Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ zu erfreuen. Mit innerer Ruhe und guten Gedanken an das Weihnachtsfest und das Neue Jahr habe ich mich dann zum nächtlichen Schlaf nieder gelegt.
Am folgenden Tag las ich in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung, dass wir uns auf unserer Erde im Zeitalter des Anthropozäns befänden. Es folgte sogleich die Erklärung, wie ich diesen Begriff zu verstehen hätte. Uns voraus gegangene Erdzeitalter tragen wissenschaftliche Bezeichnungen wie z. B. Pleistozän, Jura, Kreide oder Tertiär. Das gegenwärtig sich entwickelnde Erdzeitalter wird von dem alldominanten Einfluss der Spezie Mensch( anthropogen, griechisch: vom Menschen verursacht) bestimmt. Denn mit seiner Produktions- und Lebensweise greift er ein und verändert die Erdstruktur, das Klima, die Vegetation, die Tierwelt, die Belichtung und nicht zuletzt auch die Welt der Geräusche. In Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet veranschaulichen und bekräftigen zahlreiche Beiträge die Auffassung vom Anthropozän. Klimawandel, Abholzung der Regenwälder, Verschmutzung und Überfischung der Meere, Fracking u. a. gehören bereits so fest zum Alltag, dass darüber im persönlichen Leben kaum noch Worte verloren werden.
Geht es um Lärm, so sind die Reaktionen heftiger. Stören Autobahnen oder Flughäfen die Ruhe der Anwohner, wird protestiert. Schutzmaßnahmen werden eingefordert. Ich wage aber zu bezweifeln, ob zugleich immer und überall bedacht wird, wie sich die vielen Mitbewohner nicht menschlicher Art in unserem Umfeld fühlen, wenn Homo sapiens durch Krach, Getöse und Geballer seine eigene Wichtigkeit zur Schau trägt.
Richten wir doch einmal solche stillen Beobachtungen auf unser Lychen, Stadt der Seen und Wälder, wo sich die Bewohner so stark einig fühlen mit Landschaft und Natur:
Im Stadtbereich und in der näheren Umgebung bestimmt Motorlärm die Geräuschkulisse, solange es das Wetter erlaubt. Mit dem Motor wird Natur gestaltet: Da bleibt kein Grashalm stehen, der Baum wird kurz und in Form gehalten, die Hecke frisiert – ganz nach des Menschen zur Zeit geltenden Geschmacks. Er ist hier der lärmende Gestalter, nicht der still nistende Vogel, die befruchtende Biene oder der Nektar saugende Falter.
Nun gehört die akribische Rasenschur – mindestens einmal in der Woche – bereits seit Jahren zum „guten Ton“. Für ein gepflegtes Gartengrundstück ist sie sozusagen zum Kriterium Nr. 1 geworden. Und deshalb sind bis auf wenige Ausnahmen so gut wie alle Gartenbesitzer emsig bestrebt, das Rasen-Schönheits-Idol zu pflegen. Aber das geht nicht ohne Lärm. Und so werden die Jahreszeiten Frühling, Sommer und Herbst vom Lärm der Benziner und der Kantentrimmer bestimmt. Nach Laubfall kommt noch der Bläser statt Harke hinzu.
Hinter diesem durchdringendem Gebrumme verblassen alle natürlichen Laute aus Fauna und Flora.
Ich möchte durchaus nicht alte Zeiten heraufbeschwören, in denen Vater die Sense geschwungen hatte. Zu seiner Zeit allerdings beherrschte Vielfalt an Gemüse, Obst und Blüten die fruchtbaren Flächen. Sie waren Kriterium Nr. 1 für einen gepflegten Garten. „Die Zeiten haben sich geändert“, wird mir der Leser entgegenhalten. Und ich erwidere ihm: „ Dazu auch noch der Geschmack und das Interesse“.
Wie schön anzusehen wären eine Wildblumenwiese oder ein Kräuterfeld, ein Mangold-Beet oder eine Rosenrabatte als Blickfang und zur Erbauung von Körper und Geist? Es gäbe weniger Rasenflächen, weniger Benzinverbrauch und weniger Lärm. Gärtnerische Gestaltung dieser Art aber erfordert Hingabe, Einfallsreichtum und Arbeit.
Ich möchte beileibe nicht als „Maschinenstürmer“ gegen Benzin-Rasenmäher oder Trimmer zu Felde ziehen. Wem sie zur liebsten Freizeitbeschäftigung geworden sind, mag sie weiter lieben.
Nun ist der Mensch an sich im Laufe der Evolution von einem tagaktiven zu einem tag- und nachtaktiven Wesen geworden. Das aber nicht nur ausschließlich wegen der Befriedigung seiner elementaren Lebensbedürfnisse Es geht ihm auch darum, sich Geltung und Aufmerksamkeit zu verschaffen - einer seiner Wesenszüge mit zunehmender Ausprägung. Gerade dafür hat der Mensch neue, lautstarke Manifestationen für seine eigentlich ganz privaten Feten entdeckt.
War das Feuerwerk am nächtlichen Himmel bis vor wenigen Jahren noch großen Ereignissen wie der Jahreswende oder Festen für alle wie das Flößerfest vorbehalten, so krönten lautstarke Leuchtkugeln, Feuerfontänen und prasselnde Silberregen mehrmals wöchentlich Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Jubiläen und Einschulungen in den Frühlings- und Sommermonaten. Bei einem Ereignis fehlt das noch bislang. Es ist das Begräbnis.
Wer sich stolz als Jäger durch den Schützenverein feiern lässt, bekommt halbstündige Ballersalven in den abendlichen Himmel geschossen, so dass Großmutter im Bett befürchtet, der Krieg sei wieder ausgebrochen.
Lautstarkes Spektakel begeistert diejenigen, die es veranstalten. Ob der „Rest der Welt“ das auch mag, wissen sie nicht Ob all‘ die Wesen menschlicher und Es istg:ir.s Begräbnisse – eine und r Lärmnicht menschlicher Art, die sich bei Einbruch der Abenddämmerung zur Ruhe begeben, wohltuende Empfindungen dabei verspüren, bezweifele ich. Dem lärmenden Menschen kümmert es so wie so nicht. Kann er doch jederzeit von Naturverbundenheit loslassen, wenn es sein Ego verlangt.
Das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ erweckt in uns, wenn wir es singen oder auch nur seinen Klang vernehmen, ein starkes Gefühl der Glückseligkeit. Wir spüren das Göttliche in uns und öffnen uns für die Liebe, ein Empfinden, das wir mit allen Lebewesen gemeinsam haben und mit ihnen teilen können.
Stille Nächte beschert und Mutter Erde zu jeder Jahreszeit, nicht nur im Winter zum Weihnachtsfest. Diese Stunden der Ruhe und der Stille sind von der Schöpfung dazu ausersehen, dass sich alles Leben erholt und stärkt für den neuen Tag.
Stille Nächte auch zu anderen Zeiten wären zugleich auch heilige Nächte, weil sie uns Ruhe und Zeit gewähren, um über den wahren Sinn allen, nicht nur unseres eigenen Lebens nachzudenken.
Daran. liebe Leser, lasst uns auch denken, wenn wir das Weihnachtsfest und das Neue Jahr feiern.