Das klappt ja immer nie!
Über die Verhunzung der deutschen Sprache
Vorab bemerkt: Ich schreibe hier über einige persönlichen Erlebnisse, Eindrücke und Auffassungen in der Alltagssprache.
In einem Geschäft hatte mich kürzlich eine Frau stutzig gemacht, als sie während ihres Gesprächs mit dem Inhaber plötzlich laut klagte: „Das klappt ja immer nie!“ War das nun doppelgemoppelt, oder einfach nur unbedachter, alltäglicher Gebrauch ihrer Umgangssprache? Die Wörter „immer“ und „nie“ schließen sich doch wohl einander aus, oder etwa nicht? Entweder nur „nie“ oder „immer nicht“, wenn sie meint „jedes Mal nicht“. Ich fand es lustig und erinnerte mich etwas später, wie zu meiner Oberschulzeit unser Deutschlehrer Ernst Parpart genau darauf achtete, uns gutes Deutsch beizubringen. Mich rief er nach vorn und forderte mich auf: „Joachim, schreiben Sie das Wort „eben“ an die Tafel.“ Ich schrieb so, wie ich zu sprechen gewohnt war, nämlich „ebent“. „Löschen Sie das sofort und schreiben Sie „eben“! Die Klasse lachte. Ich kehrte beschämt auf meinen Platz zurück. Auf diese und ähnliche Weise merzte er auch andere sprachliche Angewohnheiten aus, wie zum Beispiel größer „als wie“ oder „dem“ Mann „sein“ Geld. Unser Lehrer war ein Freund des Genitivs.
Nun halte ich solche Schnitzer nicht für sehr bedenkenswert. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich allerdings schon vor Jahren, als in der Journalisten- und Reportersprache das Adverb „sehr“ den Todesstoß nachhaltig bekam mit den Ersatz durch „ganz“. Also nicht mehr „sehr viele“ sondern von nun ab „ganz viele“. Ich überlegte: Wann hast Du denn das zum ersten und zum letzten Mal so gehört? Ach ja, als ich ein Baby war. „Mammi hat Dich ganz lieb, und Pappi hat dich ganz, ganz lieb!“ Aha! Babysprache - vielleicht, um stärkere Emotionen zu wecken. Heute ist „ganz“ ein beliebtes Wort in der Berichterstattung mit „ganz“ schneller Verbreitung in der Alltagssprache. Ich bin bei „sehr“ geblieben, ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.
Bald aber, in heutiger Zeit, wurde Deutsch - die Sprache der Dichter und Denker mit ihrer schier unerschöpflichen Wendigkeit und Ausdruckskraft - von Gerechtigkeitssemantikern auf Unzulänglichkeiten abgeklopft. Gendergerechtes* Deutsch sollte geschaffen werden. Genderverfechter, vielleicht aus Unwissenheit dessen, dass Substantive männlichen, weiblichen und sachlichen Geschlechts im Singular in der Regel im Plural eine gemeinsame Form haben, wenn alle geschlechtsübergreifend gemeint sind, bastelten neue Wortschöpfungen und Schreibweisen, wie beispielsweise „LychenerInnen“ oder ZuschauerInnen“, um den Anteil der Frauen hervorzuheben.
Im RBB-Fernsehen, so in der Sendung ZIBB, wurde das vom Moderator sogar so gesprochen und hörte sich für mich einfach holprig an. Besser gelingt es wohl dem, der nicht die Mühe scheut, mit gebotener Höflichkeit „Zuschauerinnen und Zuschauer" zu sagen und zu schreiben.
Die gemeinsame Form des Plurals umfasst nach meiner Auffassung alle geschlechtlichen und zwischengeschlechtlichen Identitäten, wenn es um Lebewesen geht. Allerdings muss ich diese Form auch so verstehen und annehmen.
Sehr gedreht und gedrechselt wird es dann, wenn Frau und Mann nicht als Gäste genannt werden sondern als Gast und Gästin. (Neulich erst auf Facebook gelesen).
Die Gleichberechtigung der Frau wird durch solche Sprachpingeligkeit sicherlich nicht gefördert. Sie ist auf dem Papier schon da und sollte eher durch Taten verwirklicht werden.
Verteidiger solcher fragwürdigen Neubildungen werden mir entgegnen: „Was willst Du denn? Die Sprache lebt und verändert sich ständig!“ Das ist wohl wahr, aber spontan und im täglichen Zusammenleben verändert sie sich auf natürliche Weise. Willkürliche Eingriffe aus ideologischen oder politischen Gründen gefallen mir persönlich nicht.
Mittlerweile hat die Corona-Sprache Einzug in den Alltag gehalten, belegt mit angsteinflößenden Anglizismen und medizinischen Termini. Vielleicht ist das gut so, denn diese werden sicherlich wieder aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwinden, wenn wieder Normalität eingetreten ist.
Im Übrigen hat jeder immer noch die Freiheit, so zu sprechen, wie es ihm beliebt. Es heißt aber auch: In der Sprache spiegelt sich die Persönlichkeit, ihr Denken und Handeln.
Die Sprachabklopferei geht weiter. Dürfen Kinder denn heute noch das Laufspiel „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“ spielen? Darf ich mir heute noch „Othello – der Mohr von Venedig“ anschauen oder Mohrenhirse im Garten anbauen?
*Anmerkung: Zum allgemeinen Verständnis der Bedeutung des aus dem Englischen entlehnten Wortes „Gender“ in den Sozialwissenschaften hier eine Definition, die bei Wikipedia zu finden ist:
„Als Gender oder soziales Geschlecht werden Geschlechtsaspekte zusammengefasst, die eine Person in Gesellschaft und Kultur beschreiben, in Abgrenzung zu ihrem rein biologischen Geschlecht. In den Sozialwissenschaften untersuchen die Gender Studies seit dem Ende des 20. Jahrhunderts das Verhältnis der Geschlechter zueinander, ihre unterschiedlichen Geschlechterrollen und die soziokulturelle Geschlechterordnung.“