Architektur und Zeitgeist
Westfassade des Nidarosdoms in Trondheim.
Als ich dieser Tage beim Betrachten einiger meiner Fotos auf die Westfassade des Nidarosdoms in Trondheim/Norwegen stieß, erinnerte ich mich, wie fasziniert ich von der Schönheit und Harmonie dieser Gotik war. Meister der Bau- und Bildhauerkunst waren hier am Werk und haben ein architektonisches Ensemble von Bildhaftigkeit, Persönlichkeit, Gottesfürchtigkeit aber auch Erhabenheit, Dominanz und Macht geschaffen. Das entsprach der Zeit des absolutistischen Mittelalters und dem beherrschenden Geist der christlichen Kirche. Voller Ehrfurcht, Bewunderung und Unterwürfigkeit sollte der einfache Mann des Volkes emporschauen. Diene dem Glauben und sei Untertan der Obrigkeit! Diese Aussage ist eindeutig, lässt keine Zweifel zu. Und dennoch ist für mich diese Architektur zugleich Ausdruck hoher Kunst.
Nachdem ich mich von meinen Bildern wieder abgewandt hatte und mir repräsentative Bauwerke und Projekte aus unserer Zeit vor Augen hielt, stellte ich mir die Frage, welchen Zeitgeist diese widerspiegeln. Als ich in Berlin weilte, habe ich das Kanzleramt fotografiert.
Es hätte ebenso ein anderes neues Bauwerk aus dem Regierungsviertel oder eine Bank sein können. Nun wird bei dieser Architektur vor allem Funktionaliät in den Vordergrund gestellt und selbstverständlich Repräsentanz. Aber nicht der Herbst war daran schuld, dass ich mich auf dem weiten Platz vor der kalten Fassade einsam und verlassen fühlte wie vielleicht auch die beiden kleinen Leute aus dem Volk.
Selbst mein Wunsch, eine Vision zu haben, erfüllte sich nicht. Wollte ich doch Angela aus ihrem Glas-Beton-Sitz emporsteigend und als Engel über uns schwebend erblicken! Sie stammt doch aus unserer bodenständigen Region.
Die Macht geht doch - wie es heißt - heute in unserer Demokratie vom Volk aus. Ich verspüre dort jedesmal eher Distanz vom Volk. Nun ja, man kann mich ja eines Besseren belehren!
So jedenfalls sieht für mich die heutige Architektur ganz oben aus. Ganz unten, im kleinen Ort, wo doch alles so warmherzig, freundlich und miteinander zugehen soll, scheinen mir solche Projekte, wie der neue Lychener Kindergarten, genauso nichtssagend und kalt. Den Gedanken an warmherzige Kinderliebe des Architekten beim Anfertigen der Zeichnungen kann ich nicht erkennen. So ist der Zeitgeist in der kleinen Stadt nun ebenfalls eher funktionell als emotionell.