Das verschollene Land Ceba
Beim Aufräumen auf dem Dachboden fiel mir eine Kiste in die Hand. Ich öffnete sie und fand Hefte, kleine Bücher, Fotos und allerhand Kleinigkeiten aus längst vergangenen Zeiten. Ich nahm die Kiste mit in das Wohnzimmer und begann, alles genauer zu betrachten. So entdeckte ich eine Schrift, die mir zuerst fremd erschien. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bis ich sie lesen konnte. Ich erinnerte mich, das auf einer nahen Insel einmal ein kleines Volk lebte, viel kleinwüchsiger als die Hobbits. Auf diesem Eiland in unserem See gründeten sie ihr Land. Sie bezeichneten es weder als Monarchie oder Republik noch Staat sondern schlicht und einfach als „Land Ceba“. Als Junge hielt ich mich jeden Tag am See auf. Und so sah ich das geschäftige Gewimmel auf der Insel. Das Völkchen schickte sich an, Häuser zu bauen, die langsam zu einer Stadt heranwuchs. Ich legte mich am Rande lang hin und schaute ihnen zu. Eine winzige Gruppe bemerkte mich, einer kam auf mich zu und sprach: „Willst Du ein Freund meines Volkes sein?“ „Oh“, freute ich mich, „er spricht Deutsch.“ Ohne zu zögern sagte ich „Ja, ich will Euer Freund sein.“ „So empfange hier diese Schrift, das Manifest der Ceben. Hilf' uns, damit wir in Frieden und Eintracht leben.“ Zugleich gab er mir das Alphabet, damit ich den Inhalt lesen konnte. Hier ist das Dokument, das lange Zeit in der Kiste geschlummert hat.
Übertragen in unsere Schrift ist zu lesen:
„Das Volk der Ceben hat sich sein Land gegründet mit dem Ziel, allen seinen Bewohnern ein Leben in Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit zu garantieren. Gerechtigkeit soll herrschen unter Unseresgleichen. Durch Arbeit und ehrlichen Tausch der Produkte sollen Alle in Wohlstand und keiner in Armut leben.
Der Rat der Gerechten“
Jeden Tag lief ich nachmittags zur Insel. Der Mutter ließ ich verstehen, ich wollte wegen der Schulaufgaben nicht gestört sein. Behutsam half ich meinen Freunden. Ich zeigte Ihnen, wie sie aus der geschmeidigen Erde Blöcke für den Bau ihrer Wohnhäuser und ihres großen Verwaltungspalastes formen konnten.
Es entstanden ihre Hauptstadt, die sie „Pacifica“ nannten und eine Hafenstadt. Sie bewirtschafteten das Land und kultivierten ein seltenes Moos, das ihnen hochwertige Nahrung gab. Aus diesem Moos gewannen sie ein Elexier, das Demjenigen, der es zu sich nahm, lange Gesundheit versprach. Mit diesem Elexier gelang es ihnen, sich bei den Menschen einen der ersten Großrechner einzutauschen. Sie ließen ihn von findigen Köpfen minimieren und stellten ihn in das Verwaltungsgebäude. Als sie mir diesen Erwerb eines Tages freudig verkündeten, fragte ich voller Neugier: „Wozu braucht ihr dieses Ding?“ Mit verschmitztem Lächeln verriet mir der Älteste der Gerechten: „Der Rechner verwaltet unser Land. Wir geben alle wichtigen Daten für unser Leben ein, und er entscheidet für uns mit Unvoreingenommenheit zum Wohle aller. In gewissen Abständen wechselt das Eingabe-Team.“ „Was ist denn der tiefere Sinn des Ganzen“, fragte ich weiter. „Nun“, hob er mit vollem Ernst seine Stimme an, „Wir wollen nicht von Unsresgleichen regiert sein, denn das würde Ungerechtigkeit schaffen.“ Da schwieg ich still, weil ich als Junge nichts vom Regieren verstand.
Lange lebten die Ceben auf der Insel. Zogen die Menschen im Sommer in ihren Booten vorbei, so glaubten sie, ein Märchenland zu sehen. Die Ceben aber zeigten sich ihnen nicht. Sie zeigten sich nur mir. Im festen Glauben, dieses glückliche Land hätte ewigen Bestand, wurde ich nach Jahren bitter enttäuscht. Auf der Insel herrschte Schweigen. Nur wenig ist mir geblieben.
Und heute? Ich pflanze Kartoffeln auf dem fruchtbaren Land.