Dem Cohrs-Stift droht der Abriss!
Das Cohrs-Stift mit Eingangsportal. Foto: Eberhard Kaulich, Archiv.
Dem Lychener Cohrs-Stift - ein Gebäude mit bewegter Geschichte - droht jetzt der Abriss. Jahrzehntelang beherbergte es den Kindergarten. Wegen starkem Schwammbefall soll es nach Meinung der Stadtväter nicht saniert werden. An seiner Stelle ist der Bau eines neuen Kindergartens geplant - ein langgestreckter, funktionaler Flachbau, der nach meiner Auffassung an architektonischem Geschmack sehr zu wünschen übrig lässt.
Das neue Projekt. Foto: Eberhard Kaulich, Archiv.
Unter der Lychener Bevölkerung ist dazu die Meinung geteilt: Jüngere Generationen befürworten einen Neubau. Ältere, geschichtsbewusste Bürger haben sich gegen den Abriss ausgesprochen. Zumindest wünschen sie, dass das Eingangsportal als Erinnerung an das alte Gebäude und als Hommage an die Verdienste des früheren Ehrenbürgers Kommerzienrat Cohrs erhalten bleibt und harmonisch in das neue Gebäude eingefügt wird. Das lässt sich aber wohl bei dem barackenartigen Projekt schlecht verwirklichen.
Dass die Bedenken und Proteste ihre Berechtigung haben, wird verständlich, wenn man die Geschichte des Cohrs-Stifts kennt:
Kommerzienrat Cohrs, Berliner Chemiefabrikant und konvertierter Jude, war seit den Gründungsjahren der Hohenlychener Heilstätten Anfang der 1900er Jahre im Vorstand der Viktoria-Luise-Kinderheilstätte tätig und Förderer.
Kommerzienrat Cohrs (links im Bild). Foto: Eberhard Kaulich, Archiv.
1912 spendete er die ersten 5000 Reichsmark für den Bau eines Jugendheimes am stadtnahen Ufer des Zenssees. !913 wurde das Jugendheim eröffnet und auf diese Weise bis Ende der 1929er Jahre betrieben.
Das Cohrs-Stift nach dem Bau. Foto: Eberhard Kaulich, Archiv.
1914 ernannte die Stadt Kommerzienrat Cohrs zum Ehrenbürger. Auf seinem eigenen Wunsch wurde er 1924 auf dem Gelände des Cohrsstifts beerdigt und ihm ein Denkmal gesetzt.
In der Kristallnacht, im November 1938, schändeten die Nazis das Denkmal und stürzten es in den See. Die sterblichen Überreste wurden an der Mauer des städtischen Friedhofs in Hohenlychen schändlich verscharrt. !939 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft wegen seiner jüdischen Herkunft aberkannt und bisher nicht (!) wieder hergestellt.
Das Cohrs-Stift wurde seit 1936 mit Unterbrechungen als Kindergarten genutzt. Kurz nach Ende des II. Weltkrieges dienten das Steinhaus und die dahinter befindliche Baracke als Typhus-Station, in der auch meine Mutter gerade noch so mit dem Leben davon kam.
In der DDR-Zeit und bis in die jüngste Zeit immer Kindergarten, ist es nun leergezogen und wartet auf sein Ende.
Das Cohrs-Stift 1951. Foto: Eberhard Kaulich, Archiv.
Für den Neubau ist eine Fördersumme von 500 000 Euro bewilligt. Angesichts der prekären Finanzlage der Stadt, nicht zuletzt wegen des Millionen-Prestige-Projekts Stadthafen und der damit verbundenen hohen Verschuldung - bleibt abzuwarten, wie es mit dem Kita-Neubau weitergeht. Eindeutig ist, dass Lychen wieder um ein historisches Gebäude ärmer sein wird.