Der Giersch - ein Expansionist
Blüht er im Juli mit seinen weißen Dolden auf hohen Stengeln, so ist er hübsch anzuschauen. Bunte Falter und Bienen lockt er an, ein emsiges Geflattere und Gesumme. Über die Sommerzeit hinweg breitet er sich nach allen Seiten aus, ein Expansionist in der Pflanzenwelt. Wo zuvor noch Tausendschön und Aurikel ihre Blattrosetten entfaltet hatten und in bunten Farben leuchteten, legt sich in kurzer Zeit ein saftig grünes Blättermeer über alle Andersartigen. Die Zarten, Schwachen unterliegt im Kampf ums Dasein.
Für mich gilt es, mich zu entscheiden: Schlage ich mich als Freund auf die Seite des Gierschs und betrachte ihn als Wildgemüse, Heilpflanze und Blume wegen der weißen Dolden zum Füllen bunter Sträuße? Oder betrachte ich ihn als Unterdrücker, der Artenvielfalt nicht zulässt?
Für manchen mag die Wahl einfach sein: Ist er doch in letzter Zeit so etwas wie eine Kultpflanze unter den Wildkräutern geworden. Als wohlschmeckend gilt die Giersch-Limonade. Im Wildkräutersalat soll er seine heilkräftige Wirkung gegen Rheuma, Gicht und Arthritis entfalten. Bekomme ich einen Krampf – welcher Art auch immer (vielleicht einen Lachkrampf?) - löst er ihn. Er entgiftet, reinigt das Blut und regt den Stoffwechsel an. Mancher Gartenfreund, der mich besucht, lobt und preist ihn, weil er zumindest schon die Limonade getrunken hat. Außerdem hofft er, der Giersch mache ihm den Rücken wieder elastisch. Das würde mir ebenfalls gut tun.
Andere dagegen schauen auf die grünen Blumenrabatten und bemerken mit Bedauern: „Ach, Sie haben ja auch so viel Giersch im Garten. Der ist so hartnäckig. Den kriegt man niemals raus!“ „Ja“, entgegne ich immer wieder kleinlaut, „mich ärgert er mächtig. Ich weiß schon nicht mehr, was ich tun soll.“ Gleich darauf wird mir das Gierschvernichtungsmittel empfohlen, das jetzt im Handel erhältlich ist. Sogar meine Freundin Jutta war bis vor kurzem in dieser Frage guter Hoffnung. Sie wollte sich bei Berliner Gartenfreunden kundig machen. Nach einer Woche erklärte sie mir kurz und bündig: „Oben ist er weg. Unten wächst er weiter.“ „Siehst Du,“ meinte ich, „der Giersch behauptet sich in allen Krisensituationen. Er ist der Banker in der Pflanzenwelt, gierig und unersättlich. Vielleicht heißt er wegen seiner Gier 'Giersch'. Wer weiß?“
Meine eigen Überlegungen haben mich bekräftigt, ihm wieder den Kampf anzusagen: „Wo Du beginnst, ist egal,“ sagte ich mir, „ob oben oder unten, links oder rechts, spielt keine Rolle. Er ist überall.“ also machte ich mir wie Egon einen Plan: Mit der Wurzel muss der Übeltäter ausgehoben werden. Ich streifte mir meine alten Gartenhosen über, zog die grünen Stiefel an und ergriff den Spaten. Bis zum Anschlag stieß ich ihn an der Wegkante in die Gartenerde der Blumenrabatte. Dann ließ ich mich auf die Knie fallen und schob das Spatenblatt so weit wie möglich unter den Giersch entlang, hob an und schüttelte etwas. Damit war das Untergrundgeflecht ans Tageslicht gebracht. Nun hieß es, Sorgfalt walten zu lassen. Das Wurzelgeflecht musste ohne Reste in die daneben stehende Schubkarre geworfen werden.
Auf einen langen Widerstandskampf hatte ich mich eingelassen. An jenem ersten Vormittag dauerte es wohl zwei Stunden, bis ich etwas mehr als zwei Quadratmeter geschafft und zwei volle Karren an den Ort gebracht hatte, wo zumindest dieser Giersch nichts mehr anrichten kann. Aufgehäuft soll er trocknen und verbrannt werden. Und da liegen sie nun - die vielen Liter verpasster Giersch-Limonade. Der Kampf geht weiter! Venceremos!