Ein Nachbarstreich im Morgengrauen
Als in den 1960er Jahren viel mehr Leute zur Miete in den Häusern der Lychener Vogelgesangstraße wohnten, lebte in unserem Nachbarhaus Familie Luchtenberger in der dritten Etage. Eines Sommermorgens, im Juli, lag auf der gegenüber liegenden Straßenseite ein mächtiger Haufen Gerümpel. Luchtenbergers hatten alles ausgemistet, was nicht mehr brauchbar war. Mehrere grau/weiß gestreifte Matratzen, kaputte Stühle und anderer alter Hausrat zierte den Straßenrand. Ich, als 15jähriger, dachte so bei mir, da wird wohl bald ein Sperrmüll-Transporter kommen und das Zeug abfahren. Aber nichts geschah eine ganze Woche lang. Auf meinem Geburtstagsfest saßen wir in trauter Familie und mit Freunden bis in den späten Abend zusammen und und feierten lustig bei Likör und Wein. In ausgelassener Stimmung kam mein älterer Bruder, der damals schon Lehrer an unserer Schule war, auf die Idee: "Ob Luchtenbergers mit diesem Müllhaufen wohl einen Beitrag für den Wettbewerb 'Schöner unsere Städte und Gemeinden' leisten wollen?" Dieser Wettbewerb fand zu DDR-Zeiten überall statt und brachte auch ansehnliche Ergebnisse, weil sich viele daran in freiwilliger Arbeit beteiligten und die Besten prämiert wurden. "Naja," meinte ich schon ziemlich von den geistigen Getränken berauscht, "dann müsste das aber sichtbar gekennzeichnet sein!"
Und so beschlossen wir, ein bischen nachzuhelfen. Wir bauten ein großes Schild aus einem Brett und einer Stange, und mit leuchtend roter Farbe schrieb ich darauf: "Schöner unserer Städte und gemeiner! Mein Beitrag. H. Luchtenberger." Weit nach Mitternacht, in der Mörgendämmerung, schlichen wir uns, mein Bruder und ich, hinaus auf die Straße in der Hoffnung, dass uns niemand beobachtet, und stellten das Schild oben in den Haufen hinein. Kichernd liefen wir zurück und legten uns schlafen. Das Schild stand da bis zum nächsten Abend. Dann war es weg. Am nächsten Tag war allerdings auch der Haufen verschwunden. Kurz danach begegneten sich mein Bruder und Frau Luchtenberger. Mit zornigem Blick lief sie dicht an ihn heran und warf ihm die Worte zu: "Pfui! Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht, dass Sie als Pädagoge so etwas tun!" Ein Nachbar musste wohl zu morgentlicher Stunde aus dem Bett raus und schaute durch sein breites Fenster auf die Straße. Er hatte uns in flagranti erwischt.
So war es mein ehrenwerter Bruder, der den Schabernack ausbaden musste. Mich haben sie zu meiner Schadenfreude in Ruhe gelassen. Aber - der Streich hat gewirkt. Wir haben für Ordnung gesorgt, und die Nachbarn, die das Schild gesehen hatten, haben sich köstlich amüsiert.