Eine vernagelte Tour!
Diese Geschichte ist ganz frisch, so frisch, als hätte ich sie heute erst erlebt. Sie lässt sich nicht mit wenigen Zeilen wiedergeben. Macht Euch auf etwas gefasst!
Am Ende des erlebnissreichen Nachmittags auf dem alten Gut Christianenhof, mitten in der Nordwestuckermark gelegen, setze ich mich in meinen kleinen silbergrauen Ford Fiesta, um wieder nach Hause zurück zu fahren. Der späte Nachmittag lässt die Sonnenstrahlen über weite Felder gleiten. Trotz der vielen Regengüsse leuchten sie goldgelb, am Horizont umsäumt von Kiefernwäldchen und fernen Dörfern. Ich genieße das herrliche Panorama, denn auf der schmalen, wenig belebten Aspaltstraße von Schönermark nach Gollmitz kann ich gemütlich fahren und fühle mich von keinem Raser bedrängt. Ich halte an und mache ein Foto.
Irgendwie aber drängt es mich doch nach Hause. Klar, ich möchte nämlich noch eine Runde im Stadtsee schwimmen. Deshalb werde ich nicht mehr anhalten sondern zügig bis Lychen durchfahren. Durch das Dorf Gollmitz, immer rechts, komme ich wieder durch die majestätische Lindenallee, habe bald das kleine Straßendorf Berkholz hinter mir gelassen und lenke mein treues Gefährt auf Boitzenburg / Uckermark zu. Schnell sause ich den steilen Endmoränenberg hinunter und die hügelige Hauptstraße wieder hinauf. Einen kurzen Blick werfe ich auf die geschichtsreiche Arnimsche Kirche St. Marien auf dem Berge inmitten von Boitzenburg und muss vor einer Ampel halten, weil sie rot leuchtet. Diese Ampel steht da schon seit Jahren, wahrscheinlich weil die Stützmauer am Kirchengelände morsch ist. Wer weiß ?
Lange bin ich noch nicht aus dem Marktflecken heraus, da wundere ich mich zum ersten Mal über die etwas holprige Fahrweise meines Autos. Was kann das denn sein, grübele ich, während ich so ungewohnt weiterfahre. Ich gehe auf den vierten Gang zurück. Das Holpern wird stärker. So durchquere ich schon im dritten Gang das alte Hardenbeck auf dem Kopfsteinpflaster in der Hoffnung, dass sich die Holperei gegeneinander ausgleicht oder sich aufhebt. Nichts dergleichen! Auf der gewundenen Uferstraße am Mahlgastsee wird mir die Geschichte langsam unheimlich. Mein einziger Gedanke: Du musst doch noch bis nach Hause kommen, und da liegen noch gute zehn Kilometer vor Dir. Auf der Geraden vor Brüsenwalde stuckert es plötzlich derart, dass ich blitzschnell den Wagen am Straßenrand stoppe und aussteige,
Da sehe ich zu meinem Entsetzen, dass der Reifen des linken Hinterrades nur noch ein einziges, heißes, übel riechendes Knäuel ist neben blanker Felge! Ich steigere mich in Panik. Nur einen Gedanken habe ich: „Lass' das Auto stehen, halte jemanden an, der Dich mit nimmt nach Lychen und rufe Deinen Mechaniker Mike an. Der muss hierher kommen und alles machen!“ In fieberhafter Eile stelle ich das Warnsignal auf. Nehme meine Tasche vom Sitz, schließe ab und stelle mich zum Autostopp vor den Ford. Zum Glück hält ein stabiler Tourenwagen. Das junge Ehepaar mit Tochter lässt mich einsteigen. Wir wechseln ein paar Worte. Mein Dilemma haben sie gesehen. Sie erzählen mir, sie kämen von einem Ausflug zum Schloss Boitzenburg und hätten ihr Charterboot in Himmelpfort zu liegen. „Na, da kommen Sie ja durch Lychen. Lassen Sie mich am Marktplatz aussteigen,“ bitte ich den Fahrer und schweige danach. Wir schweigen alle. Am Lychener Markt angelangt, bedanke ich mich, nehme meine Tasche und steige schnell aus. So schnell ich kann, laufe ich hinunter zu mir nach Hause. Vor der Haustür, außer Atem, greife ich in die Hosentasche: „Kein Schlüssel! Der Schlüssel fehlt,“ flüstere ich. Hastig suche ich in allen Ecken meiner Tasche. Nichts. Ich klingele. Niemand ist im Haus. „Jetzt musst Du durch das Nachbarhaus den Garten hinunter laufen, um am Seeufer auf Dein Grundstück zu kommen.“ Denn die Küchentür hatte ich wegen des Katers Pilli offen gelassen. Ich kämpfe mich durch das Buschwerk. Oben angekommen, schütte ich den Inhalt der Tasche aus in der vergeblichen Hoffnung, der Schlüssel fiele doch noch heraus. Schnell wähle ich Mikes Nummer. Ich habe Glück. Er ist zu Hause. „Ich berichte ihm alles in Kürze und sage: „Mike, ich habe nichts, keinen Autoschlüssel. Nichts!“ „Schau' mal bei Dir nach, ob Du noch eine Fordschlüssel hast. Ich denke, ich habe hier auch noch welche. Ich komme gleich zu Dir, und wir fahren zu der Stelle, wo Dein Pkw steht.“
So – jetzt warte ich voller Ungeduld, laufe draußen noch etwas die Straße ab, ob ich ihn unterwegs verloren hätte. „Den musst Du in dem Wagen liegen gelassen haben, der Dich mitgenommen hat,“ überlege ich. Ich habe mir aber das Kennzeichen nicht gemerkt bei meiner Kopflosigkeit. Nach schier endlosem Warten kommt Mike um die Ecke gefahren: „Ich habe nur einen Schlüssel in der Werkstatt gefunden,“ meint er. „Na, vielleicht passt Deiner.“
Schnell fahren wir zum Unfallort. Ich gehe noch einmal etwas die Strecke bis zum Warnsignal ab, ob ich dort liegen gelassen habe. Nichts. „Mein Schlüssel passt nicht,“ sagt Mike. Ich stecke mein Exemplar rein. Und – wir haben Glück! Er passt! Mike wechselt das Rad und schraubt das Ersatzrad an. Ich schaue mir den Reifen an: „Sieh' mal hier! Ein Loch, wie von einem vierkantigen Nagel!“
„Nun wissen wir, was Dir passiert ist“ lacht er. Schnell packen wir alles ein. „Ich fahre gleich weiter nach Himmelpfort. Hoffentlich finde ich die Familie im Yachthafen,“ verabschiede ich mich für heute von Mike, der alles so bewundernswert ruhig, geschickt und mit Umsicht getan hat.
Mike fährt nach Hause, und ich stelle mir in Gedanken vor, wie ich nur über die Anlegestege im Himmelpforter Yachthafen spazieren würde, und schon käme der freundliche Mann zu mir und würde mir den Schlüssel geben. Wenn nicht, denke ich, habe ich mir ja schon zu Hause ein neues Bund zusammengestellt und muss überlegen, was ich dann tue. In Himmelpfort erkundige ich mich als Erstes, wo der Hafen liegt. An der Ausfallstraße nach Bredereiche soll er sich befinden, hinter der Fischräucherei. Ich fahre aus Himmelpfort hinaus und komme an einen Campingplatz, wo keine Yachten liegen. Missmutig wende ich, frage unterwegs noch einmal am Ortseingang. Da meint eine Frau: „Schauen Sie mal nach links! Sie stehen fast davor.“ Klar, da liegt er! Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist auch der Parkplatz. Dorthin gehe ich zuerst, im feste Glauben, das Auto wieder zu erkennen. Da stehen aber mehrere, die alle fast gleich aussehen. Immerhin ist es bereits gegen 19.00 Uhr! Ich komme auf das Gelände des Yachthafens. Familien sitzen vor ihren Ferienunterkünften und essen ihr Abendbrot. Ich laufe die zwei langen Anlegestege ab. Nur wenige Wasserfreunde sitzen in ihren Booten, aber meine sind nicht dabei! „Es hat keinen Sinn,“ denke ich, „Vielleicht sind sie in irgendeiner Gaststätte.“ Ich fahre nach Lychen, denn bei mir macht sich schon der Magen bemerkbar. „Morgen kehrst Du noch einmal hierher zurück, schreibst zuvor in einem Brief Deine Adresse und Telefonnummer auf und nimmst ein frisches, selbst gemachtes Glas Letscho für die netten Leute mit,“ nehme ich mir vor.
Am folgenden Morgen bin ich gegen 9.00 Uhr wieder vor Ort. Jetzt treffe ich auch den kleinen, sportlichen Hafenmeister, der mir bestätigt, es hätten schon welche angerufen und gefragt, ob sich jemand wegen eines Schlüssels gemeldet hätte. Oh, wie war ich überglücklich!! Bin ich doch nahe am Ziel. „Wer da aber angerufen hat, kann ich allerdings nicht sagen,“ meint der drahtige Meister. „Ich gucke noch ein paar mal in die Boote und frage mich durch,“ entgegne ich. An mehreren Stellen erkundige ich mich nach einem jungen Ehepaar mit Tochter, bis ein netter junger Mann auf das vorletzte , blauweiße Boot zeigt: „In diesem Boot ist ein Ehepaar mit einem blonden Mädchen.“
Meine Freunde sind leider wieder nicht da. So warte ich auf der grünen Wiese bis zum späten Vormittag. Schließlich hinterlege ich meinen Brief und das leckere Glas Letscho beim guten Hafenmeister, der zuversichtlich sagt: „Spätestens, wenn sie das Boot hier wieder abgeben, gebe ich ihnen Brief und Glas.“ Das sind doch endlich gute Aussichten, denke ich für mich und beende diesen Yachthafenbesuch.
Zu Hause angekommen, blinkt kurz vor Mittag der Anrufbeantworter. Mein Retter in der Not teilt mir mit, sie hätten die Schlüssel im Lychener Rathaus abgegeben, versehen mit einem Zettel und der Beschreibung meiner Person. Meine Freude ist unbeschreiblich groß. „Ich werde erst am Nachmittag ins Rathaus gehen,“ nehme ich mir vor, denn um 14.00 Uhr wartet noch eine Stadtführung auf mich.
Kurz nach der Mittagzeit läutet das Telefon. Ich nehme ab. Noch einmal ist es der nette Urlauber. „Ich habe Sie schon am ersten Abend auf dem Steg laufen gesehen. War mir aber nicht so sicher. Ist das der Mann, der die Reifenpanne hatte? Die Schlüssel sind unter den Sitz gefallen. Deshalb haben wir sie erst am nächsten Morgen beim Reinigen gefunden. Erst an diesem Tag haben wir Ihren Brief erhalten und den Verlust im Rathaus abgegeben,“ teilt er mir mit. „Ich freue mich wirklich sehr und danke Ihnen nochmals. Haben Sie denn das Glas mit dem selbst gemachten Letscho bekommen,“ frage ich. „Darüber hat sich meine Frau sehr gefreut. Wir haben in Fürstenberg / Havel Steaks eingekauft und werden dazu das Gemüse essen,“ lacht er durch den Hörer. „Na, dann mal guten Appetit, alles aus dem eigenen Garten,“ wünsche ich ihm, „und wenn sie wieder nach Lychen kommen, besuchen Sie mich auf ein Tässchen Kaffee! Weiterhin gute Erholung auf der Mecklenburger Seenplatte!“
So endet das Erlebnis mit viel Glück im Unglück. Es gibt immer wieder nette, hilfsbereite Menschen. Man muss nur wissen, wo sie sind, um sie zu treffen. Besser allerdings – ohne Panne.