Eine Ziege auf dem Marktplatz
Im "Haus Vogelsang", heute eine attraktive Kultureinrichtung des Berliner Vereins Öko-Stadt in unserem Lychen, ging es in früheren Zeiten nicht so kulturvoll zu. Zwar war dort alles ökologisch und bio, allerdings nicht so ganz rein. Das Haus gehörte zu DDR-Zeiten dem schon recht betagten Schwesternpaar Stein. Beide waren unverheiratet. Eine der zwei Schwestern hatte zwei Söhne, die aber bald aus dem Haus gingen und in andere Orte zogen.
So wirtschafteten die zwei Damen wie kleine Ackerbürgerinnen allein so für sich hin. Sie hielten sich Hühner und mehrere Milchziegen auf dem Hinterhof. Die Ziegen hatten ihren Stall, bekamen ihr Futter und Stroh als Streu. Um die häusliche Viehwirtschaft kümmerte sich nur die eine Schwester, die die andere bald überleben sollte.
Die schwere Arbeit im Ziegenstall war für sie zu mühsam und so verzichtete sie auf das Ausmisten, vielleicht auch mit dem Gedanken: "Dung kann nicht schaden, weil er wärmt". Das hatte zur Folge, dass böse Zungen in der Stadt behaupteten, die Ziegen ständen im Stall schon so hoch, dass sie aus dem Dach rausguckten. Mag sein, ich habe es nicht gesehen.
Die über 80 Jahre alte Schwester wohnte in der oberen Etage des großen Vorderhauses in ihrer Mehrzimmerwohnung und hatte sich im Laufe der Zeit so sehr eingemüllt, dass dort einfach kein Durchkommen mehr war. In den 1960er Jahren geschah es nun, dass dringend die Fenster in ihrer Wohnstube repariert werden mussten. Frau Stein bestellte sich den hilfsbereiten, kräftigen "roten Peter", so genannnt wegen seines rotblonden Haares, zu sich. Peter nahm diese Arbeit gerne an. Er war aber auch kein Kostverächter und führte deshalb oft den guten Schluck mit sich herum.
In gehobener Stimmung traf er bei Frau Stein ein und siehe da! Er kam nicht an die Fenster heran. So begann er zu schimpfen, und es kam zum Streit. Frau Stein machte ihm mit seiner Hilfe Platz, und er reparierte die Fenster. Ab und zu machte er seine Pause und genehmigte sich ein Schlückchen vom Lebenselexier.
Als dann Feierabend an diesem Sommertag war, stieg er die Treppe hinunter und ging zum Stall. Er band eine Ziege los und zog sie am Strick auf die Vogelgesangstraße. Die Ziege ließ sich mit etwas Gemecker willig führen. Peter brachte sie auf den Marktplatz und band sie an einer Linde vor dem Rathaus fest. Da stand nun das arme Vieh und meckerte und meckerte, bis sich ein Lychener ihrer erbarmte, sie losband und zu Frau Stein zurückbrachte. Denn er wusste, Ziegen hielt sich zu der Zeit nur noch Frau Stein.
Siehe auch: Link Brennesseln am Po, oh!