Eishockey und Quakedutschen
Schaue ich auf die erste, dünne Eisdecke, die den Stadtsee bedeckt, so erinnere ich mich an weit zurück liegende Wintertage in den 1950er Jahren.
Eisig kalt waren die Nächte. Schnell gefror das Wasser, und bald hatte die Eisdecke eine Stärke von 20 cm erreicht. Hatte es in der Zwischenzeit nicht geschneit, so leuchtete die Oberfläche spiegelblank im Sonnenschein.
Wir Jungen und Mädchen - ich mag 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein - freuten uns. Gleich nach der Schule und dem Mittagessen zu Hause bei Mutter ging's zum Schlittschuhlaufen auf die Seen. Wir, die wir am Stadtsee wohnten, hatten unsere Eisfläche sozusagen direkt vor der Haustür. Manchmal verabredeten wir uns schon vorher, manchmal griffen wir zu den Schlittschuhen und liefen die Gärten hinunter, weil wir wussten, lange sollte es nicht dauern, bis die anderen kämen.
Meine Schlittschuhe musste ich mit einem Schlüssel an hohe, feste Lederschuhe festmachen. Nach einem aktiven Schlittschuhwinter waren die Sohlen, vor allem die Hacken, lose und abgerissen. Eine Freude für Schuhmacher Collin an der Kienofenpromenade, denn er besohlte sie wieder neu. Ich weiß nicht mehr so genau: Waren die Gleiter nur einfaches, leichtes Aluminium, oder waren sie doch eher aus Eisen. Jedenfalls glänzten sie, solange sie noch neu waren. Klar! Jetzt fällt mit ein, dass sie bald Roststellen bekamen. Also müssen sie aus Eisen gewesen sein.
Drei bewegliche Halterungen am Hacken und zwei vorn an den Seiten für die Sohle mussten fest angeschraubt werden. Ich machte das im Sitzen auf dem Steg. Der Schlüssel war wertvoll. Deshalb hing er an einem Band um den Hals.
Warm angezogen glitt ich mit ein paar kräftigen Beinstößen auf die glatte Fläche. Wir drehten uns mit einigen Runden, die immer schneller wurden, so richtig schön warm. Ab und zu führte ein Fehltritt zum Sturz. Den gelenkigen Knochen tat das nicht viel. Weiter ging's mit lautem Jammern und Lachen.
Die Sportlichsten unter uns, wie z. B. Bernd, Peter, Siegi und Ulli, schwenkten bald ab zum Ufer an der alten Gärtnerei, wo heute der Stadthafen ausgebaggert werden soll. Dort senkten sich die Weiden in das Wasser. Gebogen hatten sich die Äste im Wachstum.
Hier waren schnell die richtigen Hokeykellen, wie wir sagten, gefünden und abgeschnitten.
Zurück auf die freie Fläche des Eises, markierten wir die Tore beider Mannschaften mit Holzscheiten oder größeren Büchsen. Eine kleine Blechbüchse diente als Puck. Der wurde mit den Kellen flink hin und her geschoben, denn jeder wollte ihn in das Tor des Gegners schlagen.
So spielten wir den ganzen Nachmittag bis in die Dunkelheit hinein. Dunkel wurde es eigentlich nie auf unserem Stadtsee, denn drüben, hoch über der Kienofenpromenade, stand das große, hell erleuchtete Sägewerk. Vor dem Krieg gehörte es als eines der modernsten in Norddeutschland dem Industriellen Barnewitz. Nach dem Krieg wurde es volkseigener Betrieb. Aber nicht von langer Dauer, denn es wurde in VEB Formschaum umprofiliert, leuchtete aber weiterhin bis ans gegenüber liegende Ufer. Wir hatten also Flutlicht.
So vergaßen wir beim Spiel die Zeit. Erst wenn Mutter und laut zum Abendbrot rief, beendeten wir das Spiel, und jeder zog nach Hause - bis zum nächsten Tag.
An einem dieser nächsten Tage kamen Ältere hinzu. Sie brachten uns auf die Idee, zum Kienofenufer hinüberzulaufen. Dort stand ein breiter Schilfgürtel. Dicht war er gewachsen. Und weil damals das Wasser noch rein von Chemikalien, Treibstoffen und Ölen war, gediehen dort auch der gesunde Kalmus, der giftige Wasserschierling und - was uns interessierte - der Rohrkolben.
Die Bezeichnung "Rohrkolben" kannte ich nicht. Für uns Jungen wie für die Allten hießen die braunen, flockigen Kolben an langen Stielen Quakedutschen.
Davon schnitten wir einige ab. Auf alle Fälle eine für jeden von uns. Mit den Quakedutschen in den Händen glitten wir in eine stille Schilfbucht. Einer der älteren Jungs holte Streichhölzer aus der Hosentasche, machte mit einem schnellen Strich Feuer und zündete sich seine Quakedutsche am braunen Kopfende an. Der Stiel dieser Rohrkolben, wie wir wissen, ist hohl. Und so sog er den Rauch in seinen Mund. Er hustete kräftigl, sog und pustete jedoch erhaben weiter.
Wir wollten nicht kneifen und machten uns auch die Dinger an. Es begann gewaltig um uns herum zu stinken. Ich tat nur einen vorsichtigen Zug. Spuckte angewidert aus und hielt mich abseits. Lange dauerte die Zeremonie nicht, denn alle hatten genug.
Beim Hockeyspiel atmeten wir klare, saubere Winterluft und reinigten die Lungen.
Wieder zu Hause, erzählte ich nichts. Alles behielt ich für mich.
Denke ich heute an diese Episode zurück, so glaube ich, keiner von den anderen ist später zum Raucher geworden. Nur ich genieße auch heute noch ab und zu mein Zigarrettchen.
Vielleicht ist dies die Moral von der Geschicht': Wer frühzeitig kräftig Quakedutsche raucht, ist vor Nikotinsucht gefeit.
Das war mir damals noch nicht klar.