Flitzersuppe
Die Süßkirschen reifen. Rot, saftig und süß hängen sie in den Zweigen. Es ist die Zeit der Kirschsuppe. Ob warm oder als Kaltschale zum Nachtisch. Sie ist bei allen beliebt und schmeckt vorzüglich. Die Art der Zubereitung variiert ja nach Geschmack. Mal wird sie pur genossen, mal kommen kleine Teig- oder Grießklößchen hinein, oder durchsichtiges Sago gibt der roten Suppe die richtige Konsistenz. Etwas Zitronenschale schafft die feine Würze.
Als ich vor wenigen Tagen von meiner lieben Jutta im Kreise netter Freunde einen Teller Kirschsuppe vorgesetzt bekam, lief mir nicht nur das Wasser im Munde zusammen, sondern Erinnerungen aus früheren Zeiten wurden wach. Dies um so mehr, als auch in Juttas süßer Speise die kleinen, schlüpfrigen Sagokügelchen durchsichtig schimmerten.
"Wie haben wir dazu immer gesagt," fragte ich in die Runde.
Stahlkünstler Uwe fand die Antwort sogleich: "Froschlaich-Suppe. Darüber haben sich Oma und Mutter immer geärgert." "Genau! So kenne ich das ebenfalls," lachte ich und die anderen mit.
"Dieses Sago gab es in der DDR-Zeit doch erst später. Nach 1945, als wir noch nicht zur Schule gingen, hatten wir so etwas nicht zu Hause," meinte ich.
"Stimmt," nickte Jutta. "Meine Mutter hat Kirschsuppe gerne mit Hefekößen serviert. Das hat auch länger vorgehalten." "Bei uns gab's Kirschsuppe auch mal mit Hefe- oder mit Grießklößen,"bekräftigte ich zustimmend. "Aber was wir Jungen besonders mochten, war etwas anderes."
Nun guckte die Runde gespannt und erwartungsvoll. "Unsere Mutter machte so etwas wie Sago vorher selber aus Kartoffelmehl," begann ich zu erzählen. "In den ersten Jahren stellten die Frauen das Kartoffelmehl zu Hause aus einer Menge geriebener Kartoffeln her. Die mit Wasser verdünnte Masse wurde über Nacht aufgestellt, und am nächsten Morgen hatte sich eine weiße Schicht am Boden abgesetzt. Wasser und braune Restmasse schöpfte Mutter ab. Die schneeweiße Schicht wurde getrocknet und dann zum schneeweißen Pulver zerrieben.
Mit diesem Kartoffelmehl dickte Mutter Speisen an und verwendete es sicherlich noch für andere Zwecke. In Milchsuppen z. B. und in unsere Kirschsuppe warf sie Löffelspitzen des aufgequollenen Kartoffelmehls hinein, wenn sie noch heiß waren. Sie verwandelten sich in kleine glasklare Klümpchen. Für uns waren sie das Interessanteste in der Suppe. Wollten wir sie auf den Löffel füllen, flutschten sie sofort wieder herunter und flitzten durch den vollen Teller. Das war ein Spaß!
Mutter schaute sich das nicht lange an und ermahnte uns, die Suppe wäre zum Essen und nicht zum Spielen da.
Fragte sie uns die nächsten Tage in der Kirschenzeit, was wir gerne zu Mittag essen möchten. kam promt von uns die Antwort: 'Flitzersuppe, Mama!"