Hangtrudeln

Veröffentlicht auf von anais

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Als Großmutter das gleiche Alter erreicht hatte wie ich heute, hatte sie mich an einem sonnigen Julitag des Jahres 1955 mit einem besonderen Kunststück überrascht.

Zu ihr haben wir übrigens immer Mutter gesagt, weil sie Oma und Großmutter nicht mochte, und unsere Mutter hieß bei uns Mama.

Jeden Tag in der Woche brach sie morgens nach dem Frühstück auf, um am gegenüberliegenden Ufer des Stadtsees an der Kienofenpromenade im Gemüse- und Kartoffelgarten Unkraut zu jäten und Grünfutter für unsere Ziege und für die Kaninchen zu schneiden.Ich ging mit ihr nicht mehr mit, denn ich war schon Schüler der 5. Klasse.

Selbst an heißen Tagen trug sie ihr dunkles, langes Kleid und darüber hatte sie eine bunte Schürze gebunden. Das graue Kopftuch befestigte sei hinten mit einem Knoten. Und so marschierte sie los. Beim Futtersuchen hatte sie ihre eigene Methode. Sie schleppte weder den Sack mit sich herum noch einen Korb oder eine Kiepe. Nein, sie knotete vorn die Schürzenzipfel zusammen zu einem Beutel. So ähnlich wie beim Kängeruh. Da hinein kamen Gras und Kräuter, bis er voll war. Dann ging sie jedes Mal zum Sack und leerte die Schürze aus. So pflückte sie an manchen Vormittagen bis zu zehn Schürzen voll.

Den vollen Sack stellte sie ans Seeufer, denn sie wusste, kurz vor Mittag kam ich mit dem Boot herüber gerudert, um sie und den Sack einzuladen, denn zu Hause stand pünktlich um 12.00 Uhr das Essen auf dem Tisch. Vater hatte nämlich sein eigenes kleines Malergeschäft und musste als Berufstätiger – wenn auch privat – die Mittagspause einhalten.

An besagtem Julitag während der großen Ferien steige ich also ins Ruderboot, und mit kräftigen Schlägen gelange ich in 15 Minuten an das andere Ufer. Das Boot ziehe ich mit der Spitze etwas aufs Land, damit es fest liegt, wenn Mutter vom kleinen Holzsteg aus einsteigt. Ich klettere an Land und schaue in den Garten: „Nanu! Mutter ist ja gar nicht da! Und vom Futtersack weit und breit auch keine Spur! Es ist doch fast halb Zwölf. Wo mag sie nur sein?

Ich laufe über den Gartenweg zur Kienofenpromenade. Wie immer liegt sie mittags bereits im Schatten des 8 bis 10 Meter hohen Eisenbahndammes. „Oben wird gleich der Zug mit der Dampflok über die Gleise rattern,“ denke ich bei mir. „Wenn sie mal nicht den schmalen, steilen Pfad am Hang hoch gekrabbelt und über das Gleis gelaufen ist, um an den dahinter liegenden Feldern noch wilden Wermut zu pflücken, den Ziege und Kaninchen so gerne fressen.“

Ich laufe den Weg entlang und schaue immer wieder nach oben. Plötzlich kommt das hohe Gras am Hang in Bewegung, und – holterdipolter, hopsassa – purzelt der volle Futtersack herunter.

Wie angewurzelt bleibe ich stehen und warte, was da wohl noch kommt. Da sehe ich, wie sich Mutter an den steilen Hangrand hinlegt, sich kurz mit den Händen abstößt und genau so wie der Sack über die weichen Grashalme nach unten trudeln lässt.

Mutter“, rufe ich und laufe zu ihr hin. „Bist du noch bei Trost! Wie kannst Du Dich denn hier runter rollen lassen!“ Ich helfe ihr auf. „Ach weißt Du,“schaut sie mich an, „den Hang hoch klettern ist einfacher als wieder runter zu kommen. Da habe ich Angst, ich rutsche weg und breche mir was. So lasse ich mich einfach auf dem Gras nach unten rollen. Mir ist zwar jedes Mal etwas schwindelig, aber das vergeht wieder.“ 

Sprachlos nehme ich den Sack, schaue sie an und muss lachen.

So war nun mal unsere Mutter, ein richtiger Naturmensch!

 

Veröffentlicht in Lychener Stammtisch-Geschichten

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C
<br /> <br /> Die Rolling Stones sind prominent - ihr Sound treibt manchen Fan ins Koma,<br /> <br /> <br /> doch kaum wer kennt, was schade ist - Joachims Star, die Rolling Oma!<br /> <br /> <br /> ;-)<br /> <br /> <br /> <br />
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A
<br /> <br /> Hallo Cebulon! Sehr hübsch gereimt! Schade, dass die Oma das nicht mehr lesen kann. Sie würde sich noch einmal den Hang hinunter trudeln lassen.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
R
<br /> <br /> Ach, was für eine schöne Erinnerung! Eine Mutter/Großmutter/Oma mit bewundernswerten Eigenschaften. Mir scheint, früher gab es mehr Menschen mit eigenem Charakter. Heute sind die meisten<br /> angepasst und eingeschliffen auf Einheitsverhalten.<br /> <br /> <br /> Schreib sie weiter auf, die Erinnerungen und lass sie weiter leben.<br /> <br /> <br /> Gruß RE<br /> <br /> <br /> <br />
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A
<br /> <br /> Hallo RE! Welch' kluge Worte von Dir! Großmutter war eine einfache Frau aber mit gutem Herz, vielen Kenntnissen und Erkenntnissen, die sie in ihrem Leben gewonnen hat und voller Fantasie. Mich<br /> jedenfalls hat sie als Kind ganz bedeutend geprägt. Zum Glück war sie ein liebes menschliches Geschöpf mit individueller Persönlichkeit und kein Konstrukt der Technik!!Vielleicht fällt mir wieder mal etwas ein. Es waren aber die täglichen, einfachen Dinge und Geschehnisse, bei denen sie eine<br /> Rolle gespielt hatte.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim <br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> <br /> Hallo Joachim, war es nocht die Hoffnung die zuletzt stirbt? Ich finde die Erinnerung in einem gewissen Alter fast noch besser als die Hoffnung! <br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Katharina<br /> <br /> <br /> <br />
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A
<br /> <br /> Hallo Katharina! Ja, die Hoffnung ist gemeint! Ich habe das verwechselt. Zum Glück haben wir das gleich mündlich geklärt, und ich danke Dir noch einmal herzlich für alles!!!<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> <br /> Hallo Joachim, ich finde es gut! Außerdem sind solche Geschichten sehr schön und irgendwann werden wir wohl nur noch in Erinnerungen leben, falls wir es solange aushalten. Lach!<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Katharina<br /> <br /> <br /> <br />
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A
<br /> <br /> Hallo Katharina! So ist es! Du weißt ja, die Erinnerung stirbt zuletzt.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> <br /> Hallo Joachim, das ist eine schöne Geschichte wo man auch schon mal schmunzeln kann. Im Endeffekt hatte sie ja recht! Es ist einfach nach oben zu steigen als wieder runter zu kommen. Auf diese<br /> Idee, sich abrollen zu lassen, muß man erst mal kommen. <br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Katharina<br /> <br /> <br /> <br />
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A
<br /> <br /> Hallo Katharina! Und das ist nun mal wieder eine wahre Geschichte. Das hat Mutter wohl von uns Kindern abgeguckt, denn wir haben uns da auch runterollen lassen.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />