Knorriger Maulbeerbaum
Alter Maulbeerbaum bei Küstrinchen. Foto: J. Hantke.
Dieser Maulbeerbaum ist wohl von den sechs alten Riesen der am knorrigsten gewachsene. Sie gedeihen am Rande des malerisch über dem Küstrinsee liegenden kleinen Dorfes Küstrinchen in der Nähe von Lychen. Weshalb ich mich gestern zu den Maulbeerbäumen aufgemacht habe, hat seine besondere Bewandnis.
Vor sechs Jahren sah ich beim Einkauf in einem Supermarkt einen kleinen Maulbeerbaum für 1,- Euro fast verdorrt an der Kasse stehen. Er war der Letzte, den die Leute übrig gelassen hatten. Mir tat das Pflänzchen leid, nahm es mit und setzte es in den Garten. In den folgenden zwei Jahren wuchs es zu einem gesunden kleinen Strauch heran. Im folgenden Frühjahr wunderte ich mich: "Nanu, der Maulbeerbaum steht ja ganz schief!" Ich packte ihn an, und schon hatte ich ihn in der Hand. Hatte doch die alte Wühlratte fast alle Wurzeln bis auf eine weggefressen. Ich nahm das arg ledierte Bäumchen und setzte es an eine andere Stelle. Dort erholte es sich im Laufe des Sommers. Von Jahr zu Jahr gewann der Strauch an Zuwachs. Vor zwei Jahren zeigten sich die ersten kleinen, blassgelben Blütentrauben. Ich war gespannt, ob er wohl Beeren ansetzen würde. Aber nein, nichts dergleichen! Im darauf folgenden Jahr wieder die gleiche Enttäuschung.
In diesem Jahr ist es nun bereits ein Baum. Und wieder hat er keine Früchte angesetzt. Schwarze Maulbeeren sollen es sein. So stand es damals bei Norma auf dem Etikett. Ich zeigte den dicht beblätterten Gesellen mehreren Gartenfreunden. "Wahrscheinlich musst Du einen Zweiten setzen wegen der gegenseitigen Befruchtung," lautete die einhellige Meinung. Ich machte mich über Google im Internet kundig. Da stieß ich auf sehr widersprüchliche Auffassungen: Er sei einhäusig, dann wieder zweihäusig. Mann solle abwarten, er brauche seine Zeit. Er würde durch den Wind bestäubt. Feigen in der Nähe begünstigten die Befruchtung etc. Zum Schluss war ich wieder genau so schlau wie vorher.
Jetzt unterhielt ich mich mit meinem Gartenfreud und gelernten Obstbaumspezialisten Horst Benedix, weil ich der Auffassung bin, ich sollte es mal mit Stecklingen von einem anderen Exemplar oder mit Wurzelschösslingen versuchen. Horst als ausgezeichneter Kenner der Lychener Landschaft erzählte mir von einem alten Rittergut bei Altglobsow hinter Fürstenberg/ Havel, wo eine lange Maulbeerbaumallee stehen sollte. "Du musst aber nicht so weit fahren," meinte er. "Hier in Lychen besuche mal Frau Plikat vor dem Wurlsee an der Alten Strelitzer Landstraße. Dort steht ein großer Maulbeerbaum. Da kannst Du Dir Zweige für Stecklinge schneiden."
Also fuhr ich eines morgens zu Frau Plikat, einer alten, freundlichen Lychenerin. "Natürlich", meinte sie und holte gleich ein scharfes Küchenmesser und einen Spaten, weil ich auch nach Wurzelschösslingen schauen wollte. Am Fuße des knorrigen Stammes waren keine Wurzelaustriebe zu finden. So schnitt ich vom Baum ein paar Zweige ab. Frau Plikat zeigte nach oben: "Gucken Sie mal, der trägt schwarze und weiße Beeren zugleich!" "Aha", sagte ich, "Wahrscheinlich wurde einmal die weiße Beere auf die Schwarze draufgepfropft." Wir plauschten noch etwas miteinander. Sie gab mir noch einen weiteren Tipp: "Vor Rutenberg, rechts auf der alten Landstaße steht ein ebenso großer alter Maulbeerbaum. Schauen sie auch mal da nach!"
Dann radelte ich mit meinen Zweigen nach Hause und stellte sie in einen Eimer mit Wasser. "Eigentlich sollte ich mal mit meinem kleinen Ford Fiesta nach Küstrinchen fahren, denn da müssen doch noch die alten Bäume stehen, die vom Grafen Arnim von Boitzenburg gepflanzt worden waren," überlegte ich. So setzte ich mich ins Auto und fuhr noch am späten, sonnigen Vormittag nach Küstrinchen. Ein älterer Herr mähte Gras in der ruhigen Dorfidylle. Sonst war niemand zu sehen. Er erklärte mir den kurzen Weg zu den Maulbeeren am Anfang der Waldstraße nach Mahlendorf. Es dauerte nicht lange, und ich war an meinem Ziel angekommen.
Auf der Kreuzung schaute ich nach links und rechts, lief auf und ab und entdeckte sechs alte Exemplare. Wie mir Horst Benedix später erklärte, soll der Urgroßvater der jetzigen Arnims veranlasst haben, die Maulbeeren zu pflanzen. Also hat der auf dem Bild gezeigte Baum mindestens zweihundert Jahre unter der Rinde. Diesen wählte ich mir aus, denn er trug als Einziger schwarze Maulbeeren. Unter allen Bäumen lief ich im Gras umher und suchte nach Wurzelaustrieben. Ohne Erfolg. Wahrscheinlich macht das der Maulbeerbaum nicht. So schnitt ich wieder einige verholzte Zweige und kehrte nach Hause zurück.
Am Sonnabend habe ich die Stecklinge vorbereitet, mit Bewurzelungspulver bestrichen, in einen großen Topf mit Torferde gesetzt, gewässert und einen hellen, durchsichtigen Foliensack darüber gestülpt, damit die Feuchtigkeit erhalten bleibt. Jetzt heißt es wohl, vier bis acht Wochen zu warten, um dann nachzuschauen, ob der eine oder andere Steckling Wurzeln entwickelt hat. Ein paar Zweige stehen noch im Eimer, um sie mit einem T-Schnitt an meinem Exemplar aufzusetzen. Ob das aber zu dieser Zeit im Sommer gelingt, ist fraglich. Außerdem habe ich damit keine Erfahrung.
Was tut man nicht alles, damit der eigene Baum vielleicht doch einmal zuckersüße Früchte trägt!