Koche uns Pfefferminztee, Mutter!
Eines späten Nachmittags zur Sommerzeit 1954 kündigte uns unsere Mama an, dass sie am Abend zu ihren Freundinnen zur allwöchendlichen Strickrunde ginge. Da wurden Pullover, Jacken und Socken gestrickt. Vor allem aber ging es um neueste Nachrichten aus Lychen: Was so wieder Sensationelles passiert war, und wer, was angestellt hatte. Der Klön war selbstverständlich das Allerwichtigste.
So blieb also Vater mit uns beiden Söhnen und Großmutter allein zu Hause. Mein älterer Bruder hatte Semesterferien, die er bei uns verbrachte, und ich hatte die schönen, langen Sommerferien.
Großmutter, von uns einfach „Mutter“ genannt, musste so um 19.00 Uhr das Abendbrot herrichten. Deshalb fragte sie schon rechtzeitig ihren Schwiegersohn: „Helmuth, sage mal, was wollt Ihr denn zum Abendbrot trinken?“ Vater überlegte nicht lange und meinte: „Koche uns mal einen schönen Pfefferminztee, Mutter!“
Weil wir hinter dem Haus unseren eigenen Garten hatten, wuchsen dort Minze und andere Küchenkräuter, die zur rechten Zeit gepflückt und getrocknet wurden. Das getrocknete Kraut wurde in großen Büchsen im Küchenschrank aufbewahrt. Bei Bedarf reichte ein Händegriff in den Schrank zu dem gerade gewünschten Würzkraut. Weder Thymian, Majoran, Melisse oder andere heimische Gewürze wurden damals gekauft. Alles stammte aus der Eigenversorgung.
So machte sich Mutter in der Küche zu schaffen, schnitt Brot, klapperte mit Tassen und Tellern und überlegte, was sie als kräftiges Abendessen den Männern auf den Tisch bringen sollte. Im Korb lagen 10 Eier, frisch gelegt von unseren Hühnern. Deshalb machte sie für uns alle Spiegeleier mit Schinken und viel Zwiebeln. Vater bekam drei, sie begnügte sich mit einem Ei, und wir Jungen bekamen jeder zwei Eier in die Pfanne.
Lecker und verführerisch duftete es schon aus der Küche. „Hmm!“ Wir hatten schon großen Appetit. Mein Bruder und ich, wir saßen bereits am runden Esstisch im Wohnzimmer und warteten. Vater hatte wohl noch draußen in seiner Werkstatt zu tun.
Mutter kam in die Stube und stellte erst einmal die große, volle Teekanne mit der Zuckerdose auf den Tisch und Tassen und Teelöffel. „Bis Papa kommt, kannst Du uns ja mal schon eine Tasse einschenken, Mutter!“ Unser Großmutter tat das. Ich gab zwei Teelöffel Zucker in meine Tasse, denn für mich musste immer alles süß sein. Dann führte ich die Tasse zum Mund und schlürfte den heißen Tee. Ich setzt gleich wieder ab und schaute hinüber zu meinem Bruder. Der verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf und flüsterte mir zu: „Das ist doch kein Pfefferminztee! Das schmeckt ja widerlich!“ Ich lachte leise und tippte mit dem Zeigefinger an meine Lippen: „Sei ruhig! Mal hören, was Papa sagt.“
Da kam auch schon mein Vater vom Hof herein und setzte sich an den Tisch. Mutter servierte derweil schon die Spiegeleier und stellte den Korb mit den Schnitten auf den Tisch.
Vater nahm erst mal einen tiefen Schluck vom Tee. Schließlich war es den ganzen Tag über sehr warm, und deshalb hatte er Durst. Er schluckte, schaute Mutter böse an und fragte: „Was ist das denn? Das ist doch kein Pfefferminztee! Mutter, was hast du denn hier zusammengebraut?“
Großmutter, ganz erschrocken und verstört, nippte jetzt an ihrer Tasse: „Ach Gott, Helmuth, das ist ja Maggikraut! Liebstöckel für die Suppen! Da habe ich die Büchsen verwechselt! Weshalb hat Ella auch das Maggikraut neben den Pfefferminztee gestellt! Das sieht doch getrocknet genauso aus!“
„Ja, Mutter“, entgegnete Vater, „dann gehe mal gleich wieder in die Küche und mache uns einen Pfefferminztee!“