"Komm' Frau, komm' Frau...!"
Ein kleines Ereignis aus meiner frühen Kindheit hat die Lychnener Stammtisch-Teilnehmer teils zum Schmunzeln, teil zum Nachdenken angeregt. Ich selbst kann mich daran nicht erinnern, aber meine Eltern und Verwandten haben mich mit dieser Geschichte später des öfteren als Kind ins Gespräch gebracht. Vielleicht war ich vier Jahre alt - 1946/47. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Lychen herrschten tagelang schlimme Zustände. Stalin hatte den Soldaten 24 Stunden lang alles erlaubt. Es durfte geplündert und vergewaltigt werden. Einige müssen arg gewüstet haben. Frauen und Mütter versteckten sich. Andere wurden über die Felder gejagt oder nachts aus den Wohnungen geholt. Zum Glück beruhigte sich die Lage kurze Zeit später, und solche Übergriffe wurden per Dekret verboten. Die russischen Soldaten müssen es dann wohl auf die sanftere Tour versucht haben. Sicherlich gab es auch Frauen, die an Kontakten interessiert waren, denn sie wurden mit Nahrungsmitteln, Kaffee oder Süßigkeiten beschenkt. So kam im Ort die Redewendung auf: "Wenn der Russe was will, sagt er: 'Komm' Frau, komm' Frau! Fünf Minuten nur."
Als kleiner Junge habe ich das aufgeschnappt und völlig unbedarft daher geplappert. Die Leute amüsierten sich darüber. Eines Tages aber standen russische Offiziere zu Hause bei uns in der Haustür und fragten: "Wo ist der kleine Junge, der immer 'Komm' Frau, komm' Frau sagt?" Meine Mutter, arg erschrocken und verängstigt, rief mich, und die Offiziere machten es sich in der Wohnstube bequem. Verstohlen musterte ich die Männer und sah, daß sie Bonbons und Schokolade in den Händen hielten. Ich muss wohl gedacht haben, daß sie so in ihren tschitscherin-grünen Uniformen nichts Böses von mir wollten. Gleich sprach mich einer an: "Nu, skashij!" "Nun sprich! Was sagt immer russischer Soldat zu deutsche Frau?" Brav antwortete ich meinen gekonnten Satz und lockte mit dem kleinen Zeigefinger: "Komm' Frau, komm' Frau! Fünf Minuten nur." Die Offiziere klatschten sich auf die Oberschenkel vor Lachen, hoben mich auf den Arm und schenkten mir ihre Bonbons und Schokolade. Immer noch lachend zogen sie wieder von dannen, und meiner Mutter fiel ein Stein vom Herzen.