Lychen nicht alltäglich
Fotos: E. Kaulich, Archiv.
Das Eingangsfoto soll nun wahrlich keine Ode an die Vergangenheit sein.
Ich hatte aber in der Ankündigung des Spaziergangs durch Lychen im Alten Kino Mit Bildern und Charme einmal quer durch Lychen u. a. auch geschrieben, dass dort, wo heute das Seetaxi am Stadtsee auf Kundschaft wartet, 1935 eine illustre Gruppe von einem Bootsausflug an Land ging. Und das waren sie: Hitler, Heß, Bormann, Prof Gebhardt und Brückner.
Wahrscheinlich waren sie zur Pannwitz-Insel im Großen Lychensee gefahren. Dort hatte nämlich die NSDAP in dem früheren Insel-Sanatorium der Heilstätten Hohenlychen, das der Familie Pannwitz gehörte, die Gau-Schule "Dietrich Eckert" eingerichtet, nachdem die Pannwitz-Nachkommen für ihr Eigentum mit einem Almosen abgefunden und praktisch von den Nazis enteignet worden waren.
Nazi-Größen hielten sich öfter im Hohenlychener Reissportsanatorium auf. Nach dem Krieg, während der DDR-Zeit wurden solche Bilder von den Politbüro-Mitgliedern der SED nicht geschossen, wenn sie sich in den Erholungsheimen der Partei aufhielten. Auch von Angela Merkel hat noch kein Paparazzi ein Bild veröffentlicht, wenn sie mal privat im Linden-Hotel am Wurlsee speist. Aber von der Kaiserin Auguste Victoria existiert ein Foto, als sie 1911 die Heilstätten wegen der Namensgebung des Auguste-Victoria-Sanatoriums besuchte.
Der Spaziergang durch Lychen war ein Erfolg. Immerhin waren über 70 Zuschauer ins Alte Kino gekommen. Der Bildervortrag dauerte über 1 1/2Stunden. Nicht alltägliche Schwarz-Weiß-Fotos gab es zu sehen.
Hier werfen wir einen Blick auf den ehemaligen Umschlagplatz am Stadtsee für Holz u. a.Güter. Dort wurde im September 1927 der Gedenkstein für Prof. Pannwitz verladen, um ihn zu seiner Grabstätte auf die Insel zu transportieren. Der Granitblock kam ins Rutschen und sackte samt Prahm am Ufer ab. Aber beide wurden gehoben.
Im Stadtsee hatten 120 russische Kriegsgefangene für das Sägewerk Barnewitz im Winter 1914/15 Rammpfähle eingeschlagen, an denen später Unmengen von Floßholz befestigt wurde, welches das Bild des Sees prägte.
Die Stämme wurden mit diesem Kran aus dem Wasser gehoben. Er wurde von der Firma Barnewitz 1924 errichtet und war 36 Meter hoch. Die Stämme wurden mit einer Laufkatze direkt zum Schneidegatter befördert. Im Sommer 1926 sprang ein arbeitsloser Artist aus 25 Metern Höhe für Geld vom Kran. Er verstarb im Wernerkrankenhaus Hohenlychen an seinen Verletzungen. Im Mai 1966 wurde der Kran demontiert. Im ehemaligen großen und modernen Sägewerk waren andere Betriebe eingezogen.
Auf dem Marktplatz, Mittelpunkt der Stadt, war immer etwas los wie hier Militär in der Kaiserzeit.
Idyllisch lag der Platz mit seinen bescheidenen Bürgerhäusern, Geschäften, Gaststätten, Hotels und grünen Linden vor dem Rathaus.
Bis Ende April 1945 die Stadt zu 60 Prozent abbrannte und auch die Gebäude um den Markt in Schutt und Asche fielen.
Lange lag der Platz unbebaut da. Kioske aus "Presspappe", wie wir sagten, waren Konsum- und HO-Verkaufsstellen. Privater Wiederaufbau wurde nicht gestattet. Die Bebauung sollte nach sozialistischen Planungsprinzipien erfolgen. Und so wurde auch der Abriss der Ruine des Rathauses beschlossen.
An der Breitfront, wo früher die Geschäftshäuser und die Apotheke standen - nach dem Krieg dann der Kiosk - sollte ein neues, prächtiges Rathaus mit Kulturhalle entstehen. Dazu gab es 1950 das Projekt des Architekten Schleich aus Wurlgrund. Eine Frontbreite von 44,3 Metern, eine Gebäudetiefe von 42,60 Metern und ein Volumen von 1.900 Kubikmetern waren für das "Schmuckstück" vorgesehen.
Gott sei Dank waren die Baukapazitäten in der DDR immer knapp, und es fehlte das Geld. Das Projekt wurde verworfen. Fünf Jahre später wurde das alte Rathaus in seinen Mauern wieder aufgebaut.
Ich finde es eigentlich schade, dass aus dem "Schmuckstück" nichts geworden ist. Ich hätte mich sonst hier wie in "Klein Versailles" gefühlt.
Eine Kleinstadt sollte also - wie der Schuster - bei seinen Leisten bleiben. Oder etwa nicht?