Meine Freunde - die Gänse
In den 1960er Jahren lebten die Lychener Familien zum großen Teil, wie zuvor die Ackerbürger, von ihrer Eigenversorgung. Sie bauten in ihren Gärten Gemüse und Obst an und hielten sich Schweine, Ziegen, Schafe, Kaninchen und Geflügel. Bei uns zu Hause war mein Vater für die Kaninchen und meine Mutter für das Federvieh zuständig. So hatten wir jedes Frühjahr junge Kücken und einige junge Enten.
Als ich das letzte Jahr zur "Penne" ging und mich auf das Abitur vorbereiten musste, besorgte sich meine Mutter zwei Güssel in weiser Voraussicht, zu Weihnachten einen feinen Gänsebraten auf den Tisch zu bringen. Das war im Mai. Wir hatten warmes, sonniges Wetter und eine grüne Wiese am See. Dort erledigte ich meistens meine Schulaufgaben.
Eines schönen Nachmittags setzte meine Mutter ein kleines Drahtgehege auf den Rasen und meinte zu mir: "Wenn Du hier unten bist, kannst Du auf die jungen Gänse aufpassen, damit sie nicht von fremden Katzen gefressen oder von Raubvögeln gegriffen werden!" Wie sie gesagt, so ich getan. Jeden Nachmitag, so gegen 14.00 Uhr, wenn wir gegessen hatten, sammelte ich die zwei Güssel in den Korb und trug sie zu ihrem Gehege. So ging das bis in den Hochsommer hinein. Mittlerweile brauchte ich sie nicht mehr zu tragen. Ich öffnete die Stalltür, und mit weit geöffneten Flügeln, laut schreiend liefen sie freudig auf mich zu. Wir hatten schon Sommerferien von Juli bis Ende August.
Jetzt setzte ich mich nicht mehr zum Lernen auf die Wiese, sondern nahm meine blaue Luftmatratze auf den Kopf und marschierte den Gartenweg hinunter zum Bootssteg. Ganter und Gans, Hans und Grete, watschelten schnatternd hinter mir her zum See. Ich warf - wie immer - die Luftmatratze auf das Wasser, sprang hinein und legte mich drauf. Die Gänse breiteten gleichzeitig ihre Schwingen aus, hoben ab und landeten neben mir, die eine links, die andere rechts. Also hatte ich eine Gänseeskorte! So schwammen wir drei über den Stadtsee bis hin zum Floßholz, wo ich mich mit anderen Freunden zum Baden traf.
Dort hockten wir auf den Stämmen, plauderten und übten uns im Kopfsprung. Mein Gänsepaar hatte zwischen den Hölzern eine freie Wasserfläche entdeckt, die voller Entengrütze war. Dort schnabulierten sie nach Herzenslust und ließen es sich gut ergehen. Brav, wie zwei treue Hunde, eskortierten sie mich wieder, wenn ich zum Ufer zurück schwamm.
Das beobachteten die Nachbarn.
Das Uhrmacherehepaar Duckwitz, ein paar Häuser weiter, erzählte meiner Mutter: "Jeden Nachmittag um halb Drei setzen wir uns auf unsere Bank am See und schauen zu, wie Ihr Sohn mit den Gänsen schwimmen geht. So etwas haben wir ja noch nie gesehen!" So haben Hans und Grete uns allen Freude bereitet - fast allen. Unsere alte Mitbewohnerin, Tante Heidler, traute sich nie auf das Plumsklo auf dem Hof, wenn die Gänse dort waren. Der Ganter packte sie sofort an den Rock. Aber zum Glück hatte sie Zeit für ihr Geschäft, wenn wir auf dem See waren.
Fazit: Vom weihnachtlichen Gänsebraten habe ich kein Stück gegessen!!!
Siehe dazu auch das lustige Gedicht "Fischers Gänse", das auf Wahrheit beruht: Meine Gedichte .