Mit dem Bann belegt
Auf dem Lychener Historienstammtisch kamen wir jüngst auf alte Heilpraktiken in unserer Gegend zu sprechen. Darunter ist wohl das Besprechen oder Böten heutzutage noch am bekanntesten. In Lychen lebte eine alte, sehr korpulente Frau, Helene Punktow. Sie kam nach dem Krieg als Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten in unseren Ort. In jener Zeit gab es noch keine sehr gut wirksamen Medikamente gegen die Rose, die im Ernstfall, wie bei der Gürtelrose, wenn diese sich schließt, zum Tode führen kann. Unser alter Landarzt, Dr. Jugert, wenn er selber nicht mehr weiter wusste, gab den Patienten dann den wohlgemeinten Rat: "Wenn Sie daran glauben, dann lassen Sie sich die Rose pusten." Nicht wenige befolgten in ihrer Not diesen Hinweis und gingen zu Helene Punktow, die sich darauf erwiesenermaßen verstand. So heilte sie auf ihre geheimnisvolle Weise so manche Lychener, vor allem Frauen.
Meine Mutter ließ bei mir, als ich ein kleiner Junge war, den Ziegenpeter, oder auch Mums genannt, besprechen. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Die Zeremonie muss für sie sehr anstrengend gewesen sein, weil sie ihre heilende Energie auf mich übertragen musste. Und - nach wenigen Tagen war der geschwollene Hals weg. Weil sie sehr nett zu uns war, kam sie öfter zu Besuch. Und so fragte ich sie, ob sie mir meine vielen Warzen auf dem Knie wegböten könnte. Wir spielten ja als Kinder in den Ruinen und kamen mit allerhand Unrat in Berührung. Da meinte sie: "Das kannst Du selber tun." Sie schrieb mir einen Spruch auf. "Damit gehst Du an einen stillen Ort. Und wenn die Glocken läuten, flüsterst Du dreimal diesen Spruch und pustest drei Kreuze von oben nach unten, von links nach rechts über Dein Knie." Also tat ich das bald. Auch die Warzen verschwanden. Später wollte sie mir ihr Wissen weitergeben. Allerdings war meine Mutter dagegen. Heute denke ich daran zurück und finde es eigentlich schade, dass sie das nicht durfte, zumal ich sie gerne mochte und sie im Ort sehr angesehen war.
Helene Punktow war eine gottesfürchtige Frau. sie versäumte keinen Gottesdienst in der evangelischen St.-Johannes-Kirche. Glücklich war sie jedesmal, wenn sie beim Erntedankfest ihren kleinen Anteil von den Früchten bekam. Dann geschah jedoch so zwischen 1956/58 etwas Böses. Beim Erntedankfest wurde sie nicht mehr bedacht und der damalige, sehr intolerante Pfarrer Noack verbot ihr den weiteren Zugang zur Kirche
wegen ihrer "geheimen Künste". Faktisch hatte er über sie den Bann verhängt.
Mich erinnert das an einen Hexenprozess in Lychen Anfang des 17. Jahrhunderts. In den 60er Jahren waren die Zeiten anders. Scheiterhaufen waren aus der Mode gekommen. Aber auch so wurde die Seele der Frau zerbrochen. Sie vereinsamte und nahm sich am Ende das Leben. Die Frage bleibt offen. In wem steckte da der Belzebub - in der Böterin oder im Pfarrer. Beide waren nur Menschen.