Not macht erfinderisch
Als in den 1950/60er Jahren wieder Wohlstand einkehrte, und sich die Frauen und Männer nicht mehr nur um das tägliche Brot bemühen mussten sondern auch Zeit da war für vergnügliche und amüsante Beschäftigungen, hatte bekanntlich Beate Uhse den Lebensbereich Erotik und Sex nicht nur geschäftlich für sich sondern auch als fantasiereiches Entfaltungsfeld für das Ausleben eines der menschlichen Grundbedürfnisse entdeckt. Die Tabuzone des ehelichen Kämmerleins brach sie auf und ließ Freizügigkeit und Licht hinein. Die erotische Revolution wurde von immer mehr Symphatisanten gefeiert und verbreitet. Heute gehört sie zum Alltag der westlichen Zivilisation.
Geht der Neugierige, aber vor allem der Bedürftige, manchmal auch Einsame in den Erotik-Shop, findet er das, was er wünscht, ohne weiteres in dem reichhaltigen Angebot.
So weit so gut - für die Menschen.
Wer aber hat schon bisher an die Tiere gedacht? Selbst wenn sie in Rudeln oder Scharen leben, kommt es nicht doch immer wieder vor, dass der eine oder andere - aus welchem Grund auch immer - allein gelassen wird? Was tut z. B. der Hahn, wenn ihm die Hennen fehlen?
Wie findig solch' ein Gockel auch ohne Beate Uhses Unterstützung sein kann, habe ich in den 1950er Jahren als junger, noch unaufgeklärter Knabe mit Staunen und Belustigung beobachtet.
Auf unserem Hof hielten sich meine Eltern fast jedes Jahr genügend Federvieh, Hühner, Enten und Gänse. Für sie war Mama zuständig. Sie setzt die Bruthenne auf die Eier. Wenn die Kücken geschlüpft waren, achtete sie sorgfältig darauf, dass sie am Leben blieben, wuchsen und gediehen.
Junghähne wurden bis auf den stärksten aussortiert und kamen in den Suppentopf. Ein Hahn blieb am Leben und durfte sich seiner Hühnerschar erfreuen.
Irgendwie aber, ich weiß nicht mehr weshalb, gingen einem Hahn die Hühner aus. Kann sein, dass sie alle geschlachtet werden mussten, weil sie ihre Federn verloren. Der große, bunte Hahn mit seinen prächtigen Schwanzfedern blieb allein.
Lange hielt er seine Einsamkeit und Abstinenz nicht aus, denn eines schönen Nachmittags lief ich über den Hof zum Garten und zum See, blieb aber plötzlich wie angewurzelt stehen.
Unser Hahn stand auf einer noch mit Rinde umgebenen, kleinen Holzklobe, die vom Haufen weggerollt war - vielleicht hat er sie sich auch weggerollt - und trat mit seinen Beinen, duckte sein Schwanzteil auf das Holz. Die Klobe rollte ein Stück. Der Hahn sprang ab und flatterte wieder drauf.
Wieder oben in der Küche berichtete ich Mama von meiner Beobachtung. "Ach ja", meinte sie nur kurz, "dem Hahn fehlen die Hennen."
Sie schaute sich des Hahnes Vergnügen an den folgenden Tagen noch eine Weile an. Resolut, wie sie nun einmal war, meine sie zu meinem Vater: "Gucke mal, was der Hahn anstellt. Das geht ja nicht. Das ist ja abartig."
Vater machte kurzen Prozess. Er schlachtete den Hahn, und am Sonntag gab es gebratenes Hühnerfleisch, nachdem der Gockel zuvor in der Hühnersuppe weich gekocht war.
Heute frage ich mich: Was war daran abartig? Hat der Hahn nicht nach seinem Bedürfnis gehandelt und aus Mangel an fleischlichem Material ein Hilfsmittel benutzt?
Fazit: Was wir Menschen uns zugestehen, sollten wir auch den Tieren gönnen.