Ochsenschwänze

Veröffentlicht auf von anais

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Kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee im April 1945 besetzten die Russen einige Höfe und Gebäude im Ort und richteten dort ihre Verwaltung und Logistik ein. So beschlagnahmten sie auch den Hof des Bauern Helm am Ende der Springstraße.

Juttas Mutter, Lotte Wings, die nicht weit entfernt wohnte, wurde auf diesen Hof zur Arbeit zwangsverpflichtet. Von Beruf Näherin, hatte sie Offiziersuniformen auszubessern und zu flicken.

Auf dem Bauernhof ließen die Offiziere Rinder und Schweine schlachten, die sie in der Umgebung aufgetrieben hatten. Das Fleisch wurde für die Versorgung der Truppe verarbeitet. Aus den fetten Schweineschwarten brieten die Frauen Schmalz aus. Von den Ochsen nahmen sie so gut wie alles, was verwertbar war – nur die Schwänze nicht.

Lotte Wings hatte hungrige Münder zu Hause, die versorgt werden wollten. Auf ihr Bitten erhielt sie die Genehmigung, die Ochsenschwänze mit nach Hause nehmen zu dürfen. Ebenso auch die zu Blöcken zusammen gepressten Schweinegrieben. Fleisch war zu jener Zeit rar, und so freute sich die Mutter über die Ochsenschwänze, weil sich daraus die feinste Suppe zubereiten ließ.

Zu Hause säuberte und wusch sie die Schwänze im Wasser aus dem eigenen Brunnen. Sie wurden anschließend mit Salz, Pfeffer und Lorbeerblatt und vielleicht noch anderen Gewürzen ausgekocht. Das Fleisch löste sie von den Knochen ab und legte es beiseite. Danach wurden klein geschnittene Kartoffeln, Möhren, Sellerie und Porree aus dem eigenen Garten in der Brühe weich gekocht und anschließend das Fleisch hinzugegeben. So hatte die Familie ein kräftiges Sonntagsessen, wovon andere in der schweren Nachkriegszeit nur träumen konnten.

Jutta war fünf oder sechs Jahre alt. „Ich weiß heute noch, wie gut uns allen die Suppe geschmeckt hatte“, meinte sie, als sie die kleine Episode erzählte. „Und die Schweinegrieben wurden durch den Fleischwolf gedreht. Das ergab immer noch genügend Fett und Griebenschmalz. Mutter war da sehr findig.“

Als Lotte Wings viele Jahre später wieder einmal Ochsenschwanzsuppe zum Mittagessen kredenzte, schmeckte die Suppe ihrer lieben Tochter überhaupt nicht mehr. Da herrschten nämlich wieder bessere Zeiten, als die Gaumen an Braten, Koteletts und Rouladen gewöhnt waren.





Veröffentlicht in Lychener Stammtisch-Geschichten

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C
<br /> Leider war meine Suche bisher erfolglos! :-(<br /> <br /> <br /> Ich werde mich wohl bis zum Frühling gedulden müssen. Einer unserer Nachbarn hat immer ein paar Ochsen auf der Weide stehen. Der ist schon ziemlich alt, und sieht auch nicht mehr so gut. Da wird<br /> ihm ja wohl nicht auffallen wenn einer seiner Ochsen nicht mehr so ganz komlett ist! ;-)<br /> <br /> <br />  <br />
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A
<br /> <br /> Hallo Cebulon! Die willst doch wohl nicht den ganzen alten Ochsen nach Hause zu Dir treiben? Du brauchst doch nur den Schwanz abzuschneiden. Ich weiß aber, Du tust so etwas nie, denn Du bist ein<br /> Tierfreund. Welch' Glück für den Ochsen.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
C
<br /> Ochenschwanzsuppe? Ja, die haben wir früher eigentlich ganz gerne gegessen. Aber jetzt schon lange nicht mehr, ist uns irgendwie aus dem Sinn gekommen. Das war aber sowieso keine originale,<br /> sondern eine aus der Tüte oder so. Müssen wir doch tatsächlich mal schauen ob es so etwas noch gibt. Danke für die Erinnerung!<br />
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A
<br /> <br /> Hallo Cebulon! Bitte schön. Wenn Du sie findest, ob in tüten oder im Restaurant, lass' sie Dir zusammen mit Deiner lieben Gattin schmecken.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
R
<br /> Ja, so vergeht die Zeit und der Geschmack. Eine schöne Geschichte. Heute noch gibt es Ochsenschwanz-Suppe zu kaufen, hab sie aber noch nie probiert. Wird auch nicht so kräftig und natürlich sein,<br /> wie die von Lotte Wings.<br /> <br /> <br /> Danke (denn ich liebe Geschichten)<br /> <br /> <br /> RE<br />
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A
<br /> <br /> Hallo RE! Ich glaube, ich habe eine solche Suppe früher mal in Restaurants gegessen. Eigentlich war sie nichts weiter als eine klare Fleischbrühe. Die Geschichte aber ist schon was Besonderes,<br /> weil an Fleisch kaum jemand in der damaligen Zeit heran kam.<br /> <br /> <br /> Ein schönes Wochenende und<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> Hallo Joachim, es wird tatsächlich der Ochsenschwanz verwendet und es gibt verschiedene Arten der Zubereitung. Ich bevorzuge eine klare Ochsenschwanzsuppe. Man kann aber auch eine gebundene<br /> Ochsenschwanzsuppe zubereiten. Sie wird mit Madeira und/oder Sherrry verfeinert. Wenn man das Fleisch essen möchte, sollte man es ca. 3 Stunden kochen lassen. Dann wird aus dem zähen Fleisch<br /> eines der geschmackvollsten Rindfleischstücke. Leider wird eine Ochsenschwanzsuppe in Restaurants nur noch sehr selten angeboten. In der Sterneküche findet man sie noch am ehesten.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Katharina<br />
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A
<br /> <br /> Hallo Katharina! Ivh habe doch geahnt, dass du Dich mit der Zubereitung gut auskennst. Solche Ochsenschwanzsuppe, wenn das Fleisch mit hinein soll, braucht aber lange für die Zubereitung. Wer<br /> weiß, ob es beim Fleischer im Geschäft Ochsenschwänze zu kaufen gibt. Ich werde mal lieber bei meinem Gemüse bleiben. Lach!<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> Hallo Joachim, das müssen schwere Zeiten gewesen sein. Wenn man nicht viel hat, ist wenig schon sehr köstlich. Heute sind wir natürlich verwöhnt aber eine feine Ochsenschwanzsuppe ist doch immer<br /> noch ganz köstlich. Zumindest als Vorspeise zu einem schönen Hauptgericht. <br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Katharina<br />
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A
<br /> <br /> Hallo Katharina! Ich weiß gar nicht, ob es in den Restaurants noch überall Ochsenschwanzsuppe gibt. Ich muss mal auf die Karte gucken, wenn ich im Restaurant speise, was nicht so häufig vorkommt.<br /> Wird die wirklich aus den Schwänzen gemacht? du wirst das sicherlich wissen.<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße<br /> <br /> <br /> Joachim<br /> <br /> <br /> <br />