Verflixtes Latein!
Wenn ich mit ehemaligen Mitschülern zusammentreffe, erinnern wir uns gerne an die wahrlich anstrengenden Lateinstunden in der Abiturklasse. Unser ehrwürdiger Lehrer mit lockerem, grauem Haar war ein Magister klassischen Stils. In der 10. Klasse hatte er eine jüngere Lehrerin abgelöst, die wir allerdings sehr mochten, weil wir bei ihr gute Noten bekamen. Beim Magister verlief der Unterricht etwas strenger. Jeder Schüler musste sich ein "Vademecum" zulegen, ein kleines Heft, in das lateinische Sprichwörter eingetragen wurden. "Vademecum" heißt doch in der deutschen Übersetzung "Gehe mit mir". Solche Sprichwörter, wie "Cui bono?", "Carpe Diem" oder "Quo vadis?" sollten uns auf unserem Lebensweg begleiten. Das fanden wir nicht schlecht, solange sie bekannt, einfach und leicht zu übersetzen waren. Unser Magister stellte jedoch höhere Anforderungen. Von mal zu mal bekamen die geflügelten Worte längere Flügel.
Eines Tages gab er zu Beginn des Unterrichts ein neues Sprichwort bekannt und schrieb es fein säuberlich mit weißer Kreide an die Tafel: "Sic vires absint, tamen laudanda voluntas est". Dann fragte er in die Klasse: "Wer möchte das übersetzen?" Niemand meldete sich. Da rief er die kleine, flotte Uschi auf: Uschi, was heißt das auf Deutsch?" Uschi prüfte in Gedanken die Vokabeln und beging dabei einen zweifachen, folgenschweren Irrtum. Sie verwechselte das Wort "vires" (Kräfte) mit "viri" (Männer), und "laudanda" ( lobend, zu loben) mit "ludenda" (spielend, zu spielen). Stolz und mutig übersetzte sie den Spruch mit freudigem Lächeln: "Wenn auch die Männer fehlen, besteht dennoch der Wille zum Spiel." Die Klasse stutzte einen Augenblick und platzte vor Lachen. Der Magister aber raufte sich die grauen Haare und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: "Das zeigt wieder einmal, wo Sie mit Ihren Gedanken sind! Setzen Sie sich! Ich trage Ihnen dafür ein "Ungenügend (5) ein!" Dann fasste er sich wieder und verkündete den richtigen Sinn: "Wenn auch die Kräfte fehlen, ist dennoch der Wille zu loben!"
Nach dem Unterricht jubelten wir und freuten uns diebisch über Uschis "freie Übersetzung". Die gehört noch heute zu ihrem "Vademecum".