Verpatzter Violinenkurs
Als ich 10 Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern eine Violine zum Weihnachtsfest.Ich öffnete den Geigenkasten und erblickte ich das zarte Instrument. Es sah alt aus, schien jedoch sorgsam gepflegt, denn die braune Politur schimmerte in schwachem Glanz. Fragend schaute ich meine Eltern an: „Soll ich Geige spielen lernen?“ Meine Mutter nickte und meinte: „Es wäre doch wunderschön, wenn Du Violine spielen könntest. Es ist das Edelste aller Instrumente. Wir würden uns freuen, wenn wenigstens einer in der Familie etwas Hausmusik machen könnte. Was meinst Du? Willst Du Geige lernen?“
Hübsch sieht sie ja aus, dachte ich bei mir. Also gab ich meine Zustimmung. Ich packte sie aus, nahm den Fidelbogen heraus und setzte die Violine ans Kinn. „Bevor Du mit dem Bogen über die Saiten streichst“, sagte Vater, „solltest Du mit dem Kolofonium über die feinen Haare des Bogens streichen – zu Pflege.“ „Kolofonium“ hatte ich noch nie gehört und schaute auf das hellgelbe Wachs in der kleinen Dose. Ich tat, was Vater mir geheißen hatte und setzte den Bogen an die erste Saite. Dann fidelte ich einige Male hintereinander drauf los, dass meine Katze Nanni, so schnell sie konnte, ins Nebenzimmer floh. „Das kommt noch, warte ab. Wir werden Dich zu Übungsstunden bei Herrn Franz in Hohenlychen anmelden.“
Mit der Anmeldung sollte es allerdings noch eine Weile dauern. Ich weiß heute nicht mehr weshalb, denn erst im Frühlingsmonat Mai war es soweit. Meine Mutter hatte mich bei Herrn Franz angemeldet. Einmal in der Woche, nachmittags um Drei.
Und so lief ich an dem bestimmten Tag nachmittags nach der Schule den Angelberg, dann auf den Weinberg hinauf und suchte nach dem Haus des Musikers. Ich fand es bald, klingelte, und Herr Franz öffnete die Tür. „Na, dann komme mal rein!“ Ich kleiner Bengel schaute mir meinen Lehrer an. Er lief etwas gekrümmt durch einen Buckel auf seinem Rücken. Er hatte einen kahlen Kopf, stellte ich fest. Dunkel, wohl in Schwarz, war er gekleidet. „Ein echter Meister“, dachte ich bei mir mit gewissem Respekt.
Nun begann die erste Übungsstunde: Die Griffe hatte ich zu lernen und den Saiten saubere Töne zu entlocken. Es ging immer wieder daneben. Ein angenehmes Erlebnis war dieses erste Mal für mich keineswegs. Herr Franz gab mir den Ratschlag auf den Weg: „Übe fleißig zu Hause! Nur die Übung macht den Meister!“ Zu Hause übte ich auf meiner Violine – immer wieder, immer wieder. Lieber wäre ich zu meinen Freunden am Kirchplatz spielen gegangen oder wäre mit meiner ersten Schulfreundin Gudrun durch die Felder gestreift. Gudrun war ein hübsches, kluges Mädchen mit Affenschaukeln.
Schnell verging die Woche, bis ich wieder mit der Violine an der Hand zu Herrn Franz hinauf pilgerte. Nach den ersten Übungsstunden studierten wir mit ersten Noten das Lied „Hänschen klein ging allein“ ein. Meister Franz war nicht zufrieden. Keine lobenden Worte kamen aus seinem Mund, bis das „Hänschen klein“ zumindest als „Hänschen klein“ zu hören war. Wieder gebot er mir, ordentlich zu üben. „Es ist noch kein Meister vom Himmel“ gefallen“, ermahnte er mich zum Abschied. Langsam wurde mir das Geigespielen zum Gram. Ich hatte einfach keine Lust mehr.
Als die nächste Übungsstunde heran nahte, verabredete ich mich für denselben Nachmittag mit Gudrun. Mit dem Geigenkasten in der Hand spazierte ich mit ihr durch die blühenden hohenlychener Felder, klagte ihr mein Leid, und Gudrun tröstete mich.
An einem der folgenden Tage ging meine Mutter durch die Stadt zur Sparkasse, weil sie wieder 3,00 Mark Unterrichtsgebühren auf das Konto von Herrn Franz einzahlen wollte. Wie es der Zufall wollte, traf sie den ehrwürdigen Herrn. Sie kamen ins Gespräch. Meine Mutter erkundigte sich, wie ich mich denn so als Violinenschüler machte. Herr Franz setzte eine ernste Miene auf: „Liebe Frau, Sie brauchen mir die 3,00 Mark nicht mehr zu zahlen, denn Ihr Junge kommt nicht mehr zur Übungsstunde.“ Meiner Mutter war das wohl sehr peinlich, und sie meldete mich vom Violinenkurs ab.
Zu Hause stellte sie mich zur Rede, anfangs etwas temperamentvoll, meinte sie schließlich: „Wenn Dir das Geigespielen nicht gefällt, dann lass' es. Wir werden die Violine wieder verkaufen.“ An wen sie wieder verkauft wurde? Daran kann ich mich heute nicht mehr erinnern.