Wie aus Wassertropfen klingende Münzen wurden
Als ich wie so oft über die Wirklichkeit nachdachte und sie mit Vergangenem verglich, verweilten meine Gedanken wieder bei dem verschollenen Land Ceba Das verschollene Land Ceba mit seinen kleinen Bewohnern, die eine für unser Empfinden lange Zeit glücklich und zufrieden in ihrem angemessenen Wohlstand einträchtig miteinander lebten. Der Rat der Gerechten gab acht, dass - obwohl jeder einen überschaubaren Besitz an Land und Haus sein eigen nennen durfte - die großen Reichtümer, die ihnen die Natur schenkte, Luft, Wasser, Wald, Allgemeingut blieben. So geschah es in der Zeit des gerechten Zusammenlebens aller.
Eines schönen Jahres kam der Augenblick, als die Ceben eine Wende in ihrem Leben erfuhren. sei es durch den Einfluss der sie umgebenden Menschen, sei es durch eigene, in ihrer Seele erwachende Kräfte.
Spendeten zuvor Flüsse und Quellen ausgiebig Nass für das Tränken des Viehs, für das Wachstum auf dem Felde und für den eigenen lebensspendenden Trank, so änderte sich das in dem Maße, wie Geld ihren ursprünglichen Glauben an die Natur ersetzte. Geld erweckte das Gefühl von Reichtum und Macht.
Zwar lebten und arbeiteten die meisten der Ceben wie gewohnt, aber der Kleinste unter ihnen war äußert findig und geschickt. Eines Tages blickte er in die unaufhörlich sprudelnde Quelle des großen Flusses und erlebte eine Vision: Das glasklare Wasser verwandelte sich in funkelnde, tanzende Münzen.
Tags darauf berichtete er sein Erlebnis dem Ältesten des Rates der Gerechten in einem geheimen Gespräch unter vier Augen. Daraufhin entwarfen sie einen Plan:
Das Land Ceba erhielt neue Gesetze, eines zum Schutze der Umwelt und eines zur Förderung des Unternehmertums. Experten zogen auf die Felder und Wiesen der Ackerbürger, Bauern und Viehzüchter. Höfe, Häuser und Brunnen wurden bis in jeden Winkel untersucht. Die Ergebnisse fassten die Sachkundigen in einem Bericht mit Empfehlungen zusammen. Der Älteste des Rates der Gerechten trug die Expertise dem Volk vor. Es hatte sich ergeben:
1. Bürger, Bauern und Vieh hätten mit ihren Exkrementen und anderen Schadstoffen Boden und Wasser vergiftet.
2. Trinkwasser dürfe deshalb nicht mehr frei und unkontrollierbar aus Quellen und Brunnen entnommen werden.
3. Nur aus der Quelle des großen Flusses wird von nun an für alle, Ceben und Vieh, Trinkwasser entnommen.
4. Eigens dazu wird ein Zweckunternehmen für die Trinkwasserversorgung gegründet.
Der Kleinste unter den Ceben freute sich. Wurde er doch zum Geschäftsführer ernannt und hielt somit die Macht des Wassers in seinen Händen.
Der Älteste des Rates der Gerechten hatte sich gut vorbereitet und bei den Menschen einen Kurs in Demagogie absolviert.
Mit allerfeinster Rhetorik ausgerüstet, erklärte er den Bauern, Ackerbürgern und Handwerkern, alles geschähe zu ihrem Besten.
Der Kleinste der Ceben aber wollte aufs Ganze gehen, nicht kleckern, sondern klotzen. Ein Leitungssystem bis zu dem kleinsten Hof ließ er legen mit Anschlusszwang per Gesetz. Er verwandelte das Naturgut Wasser in eine Ware, maß diese nach Litern und ließ sie teuer bezahlen.
Dessen nicht genug, fing er das gebrauchte Wasser von jedermann wieder auf und leitete es durch Rohre in große Klärbecken. Aufwendig erwies sich dieses Verfahren und kostete deshalb den Ceben den doppelten Preis.
Als all' dies getan, setzte sich der Kleinste der Ceben mit dem Ältesten zusammen. Sie teilten einen Kuchen, verspeisten ihn und zogen Bilanz: Floss schon alles Wasser durch die Rohre? Bei weitem nicht! Der Kleinste zeigte zum Himmel empor und schätzte den Warenwert der Regentropfen ab. "Klug gerechnet ist viel gewonnen," lachte er und ließ alle Regentropfen einfangen und durch Betonrohre entsorgen.
Die Ceben entsetzten sich, als der Kleinste ihnen die größten Rechnungen ins Haus schickte. Noch seufzten und schluckten sie, beugten sich dem Gesetz und zahlten den Preis.
Wieder setzte sich der Kleinste mit dem Ältesten zusammen. Sie teilten einen großen Kuchen, verspeisten ihn mit Behagen und zogen Bilanz. Lachend klatschten sie sich gegenseitig in die Hände.
Der Kleinste der Ceben, vom Erfolg berauscht, hatte eine zweite Vision: Abwasser und Regenwasser verdienten es, zum teuersten Gut zu werden. Nur durch Rohre höchster Qualität, tief im Schutze des Erdreichs unter gepflasterten Straßen sollte das teure Nass nun fließen.
Der Älteste erhob wieder beschwörend die Hände vor dem Cebenvolk. Es verdiene nur das Beste und modernste seiner Zeit.
Gedacht,getan: Straßen ließ der Kleinste aufwühlen, ließ Rohre legen und Pumpen einrichten. Er machte seine Vision zur Wirklichkeit.
Als auch dieses Werk getan war, setzte er sich mit dem Ältesten zusammen und teilte einen Kuchen mit ihm. Sie verspeisten ihn, zogen Bilanz, verschickten Rechnungen an alle Ceben und rieben sich die Hände.
Als die Bauern, Handwerker und Ackerbürger die Rechnungen lasen, stockte ihnen der Atem. Traurigkeit und Wehmut legten sich über das ganze Inselreich. Die Ceben verkauften ihr Vieh, ihr Hab und Gut an die Menschen, verließen Haus und Hof und zogen von dannen. Niemand weiß wohin.
Nur der Kleinste der Ceben und der Älteste lebten fortan frei von Sorgen. Hatten sie doch alle in Münzen verwandelten Wassertropfen millionen- und milliardenfach auf einer Bank im Menschenreich deponiert.
Und - wenn diese Bank nicht pleite gegangen ist, so leben sie noch heute in Saus und Braus.