Mit dem Fahrrad durch die Annenwalder Heide
Erlebnisreiche Wanderung mit Horst Benedix in eine faszinierende Landschaft
Schon Ende August schwärmten Gabriele und Horst Benedix von der wunderschönen Natur in der Tangersdorfer Heide. Jedes Mal, wenn ich zuhörte, kam Unzufriedenheit in mir auf, weil ich selbst noch nicht dort war, und mich noch nie dazu entschlossen hatte, allein das für mich fremde Gebiet zu entdecken. Nachdem beide nun Anfang September wieder über lange Sandwege und Heidekraut geradelt waren und mir von ihren Entdeckungen erzählt hatten, machte ich mich das erste Mal allein auf den Weg und versuchte, über Tangersdorf auf das abgelegene Gelände zu kommen. Das gelang mir auch. Ich erlebte die einzigartig wilde Pflanzenwelt an kleinen Seen und Fließen in der Milten-Niederung, und oben über den Hängen verloren sich meine Blicke in den lila Flächen, bedeckt mit blühendem Heidekraut, dunklem Grün des Kiefernwildwuchses und hellen, in der Morgensonne leuchtenden Birken.
Als ich meinen Freunden von meiner Wanderung berichtete, meinte Horst: „ So richtig mitten drin in der Heide warst Du aber nicht. Weißt Du was? Wir fahren mal gemeinsam frühmorgens los, und ich zeige Dir Heideland, soweit Dein Auge reicht.“ Ich war sofort Feuer und Flamme. Wir verabredeten uns für den Montag mitten im September, genau nach dem „Tag des offenen Denkmals“. Und an dem Montag eröffnete sich mir eine neue Welt.
Punkt acht Uhr setzen wir uns auf die Sattel, mit Fotoapparaten, Proviant, Wasser, Körben und Taschenmessern bewaffnet. Wir wollen über die Bredereicher Landstraße in die Heide gelangen. Auf den Neuländern findet Horst den leuchtenden Schwefelporling am Stamm einer alten Robinie. Der interessiert uns weniger. Zügig radeln wir auf den Betonplatten voran, machen aber bald eine Pause an einem Hochmoor. Dort schauen wir nach dem Sumpfporst, einer geschützte Pflanze, die im Mai mit weißen Dolden blüht.
Erst hinter den Eichenwäldchen, weit hinter dem früheren Lychen II, biegen wir in einen Waldweg ein. Ich lasse Horst voranfahren, denn er ist heute mein Führer. Gute Augen muss er haben, denke ich bei mir, als er stoppt und einen jungen Steinpilz mitten auf dem Weg findet. Ich habe etwas Schwierigkeiten mit meinen breiten Reifen. Der Waldboden ist nass, und nur allzu schnell komme ich hin und wieder ins Rutschen. Bald aber wird der Weg im Kiefernhochwald trockener. Wir sind jetzt eine Stunde unterwegs, fahren immer noch durch Wald, und von der Heide ist noch nichts zu sehen. Wieder mal spüre ich meine Ungeduld. Der Weg verzweigt sich. Horst biegt nach links ab, in Richtung Süden, scheint mir.
Am Ende des Wegs wird es licht und hell. „Jetzt kommen wir in die Heide,“ höre ich meinen Führer vor mir rufen. Und wirklich. Die Landschaft verändert sich sofort. Ein neues Biotop. Heidelandschaft, wie anfangs beschrieben. Wir überqueren einen straßenbreiten Streifen frisch aufgepflügter, brauner Erde. „Das ist ein Brandschutzstreifen,“ erklärt mir Horst, „dahinter beginnt die Annenwalder Heide.“ Ich versuche mir vorzustellen, wie das Gebiet früher ausgesehen haben könnte, als es noch als militärisches Übungsgelände genutzt wurde, bis die GUS-Truppen 1991 abgezogen waren.
Der lange, schnurgerade Weg ist gut befahrbar, weil der Sand fest liegt. Eigentlich ist es gleich, wo wir anhalten und absteigen , um nach Fotomotiven Ausschau zu halten. Anfangs stehen hier und da auch Pappeln zwischen Kiefern und Birken. Bald sehen wir nur noch Birken. Dann verschwinden auch diese für eine Weile zwischen den breit ausladenden Kiefern. „Hier muss nach einigen Jahren das Holz zurück geschnitten werden, weil sonst das Heidekraut kümmert. Weiter vorn werden wir feststellen, wie auf weiten Flächen die großen Kiefern abgeholzt wurden, um die jungen nachwachsen zu lassen, erklärt mir mein Naturfreund.
„Aha“, lache ich kurz danach, „jetzt hast Du einen fotogenen Fliegenpilz gefunden.“ Horst kniet sich nieder, um den weiß gepunkteten Gesellen auf die Linse zu bannen. „So was fotografiere ich alles für meine Gabi. Die freut sich darüber.“ Ich weiß allerdings, dass er selbst eine Menge Fotoalben besitzt und sicherlich wieder eins gestaltet.
„Komme mal mit und laufe genau da lang, wo ich gehe,“ fordert er mich auf. Wir steigen über kniehohes Erikakraut auf weiß bemoosten Flecken entlang, bis Horst meint: „Hier muss es gewesen sein.“ Jetzt hat es sie gefunden. Eine rostige Mörsergranate, halb im Sand versteckt. Mit respektvollem Abstand wird sie fotografiert. Und schnell ziehen wir wieder von dannen hin zum Weg, zu unseren Fahrrädern.
Beschwerlich ist mir die Tour bisher nicht gefallen, weil wir immer wieder anhalten, um uns an dem Licht- und Farbenspiel der Natur zu erfreuen. Weit oben auf einer ausgedehnten Anhöhe weidet eine Schafherde. „Gehören die vielen Schnucken auch zum Ziegenhof Regow,“ möchte ich wissen. „Nein, die Schafe werden von Marienheim über Wuppgarten bis hierhergetrieben.“ Wie ich später erfahren habe, sollen es wohl über 1000 Schafe sein, die hier ihr Futter suchen.
Nahe kommen wir an die Herde nicht heran, weil das Weidegelände von einem Elektrozaun umgeben ist. Hier oben auf der Anhöhe schweifen meine Blicke über die ausgedehnte, offene Heide. Würden wir stundenlag geradeaus weiter fahren, kämen wir bis nach Beutel.
Unser Ziel aber liegt woanders, am Lauf der Havel. Es ist die Ziegenkäserei. Also radeln wir vorsichtig den Hang hinunter. Der Sand wird trockener und lockerer. Es geht wieder bergauf. Wir schieben unsere Zweiräder und kommen leicht ins Schnaufen. Aber die Anstrengung soll sich lohnen. Oben angekommen und zurück geschaut bietet sich das vielleicht schönste Heidepanorama unseren Augen. Einfach malerisch. Ein Künstlermotiv.
Nach wenigen Metern stößt unser Sandweg auf Kiefernwald und verzweigt sich. „Schaue mal nach links dahinten,“ flüstert Horst. „Dort scheint Damwild zu stehen. Lass‘ uns langsam rangehen.“ Das Wild scheint keine Furcht zu haben, denn es bleibt stehen, bis wir nahe genug dran sind. „Aha“, staunen wir gleichzeitig. „Es sind Ziegen, gehütet von zwei jungen Mädchen. „Sie brauchen keine Angst zu haben. Die Ziegen tun nichts. Sie sind neugierig und zutraulich“, ermuntert uns die junge Hüterin. „Wie viele sind es denn,“ frage ich sie, „150 sind es hier, vielleicht ein paar weniger.“ „Arbeiten sie beide mit auf dem Ziegenhof?“ Und ganz keck bringt uns die junge Dame zum Lachen: „Nein, wir sind von der FDJ und machen hier ein praktisches Jahr.“ Wir sind erstaunt: „Na so was. Da waren wir auch mal drin, aber mit blauem Hemd.“ Sie guckt uns an, nicht gerade erfreut.
Aber wir freuen uns. Ich schäkere etwas mit den Ziegen. So was hat man ja nicht alle Tage Es ist eine Schweizer Rasse, die feinste Milch gibt.
Unterwegs fange ich an zu sinnieren. „Meinst Du, Horst, dass es die FDJ noch gibt? Vielleicht ist sie die Jugendorganisation der DKP?“ Horst lacht: „Wer weiß? Kannst ja mal im Internet nachforschen.“ Könnte ich mal tun, denke ich.
Der Wald öffnet sich. Wir kommen an das Havelufer. Unter uns, fast in den Hang gebaut, steht die Ziegenkäserei, kein altes, sondern ein neues Haus. So etwas im Schweizer Stil.
Auf dem Gelände ist es still, denn der Hofladen ist in diesen Monaten nur am Wochenende geöffnet. Ein lieber, zottiger Haushund begrüßt uns mit treuen Augen und legt sich vor uns nieder. Ich erspähe im Hintergrund das Freigehege der Ziegenkinderkrippe. Neugierig stecken Mütter und Lämmer ihre Köpfe durch die Zaunlatten. Indessen spricht mein Freund Horst schon mit dem Hausherrn: „Sie leben hier im Paradies!“ Der schein aber etwas weniger romantisch veranlagt zu sein. „Ein lieber Hund ist das,“ setzt Horst noch eins drauf. “Der hat Alzheimer,“ mein sein Herrchen. „Der kennt nämlich seinen Vater nicht mehr.“ „Ist denn so was möglich“, erhebt sich mein innerer Protest. Wir lästern auf der Weiterfahrt noch ein bischen und schmunzeln bei dem Gedanken, wer da wohl Alzheimer hat.
Dort in der Havel liegt auch die Schleuse Regow. Sie hat ein elektronisches Display, und sicherlich funktioniert sie voll automatisch.
Es ist gegen Mittag. Mein Magen meldet sich. Mein Führer aber lässt mich noch nicht an diesem herrlichem Havelufer picknicken. Er weiß einen besseren Platz mit einer Bank und noch schönerem Blick auf den Fluss. Vielleicht gute zwanzig Minuten fahren wir unter Eichen und Buchen auf der alten Templiner Landstraße in Richtung Bredereiche weiter. Es ist der mittelalterliche Weg, der von Fürstenberg über Zootzen, Bredereiche und Kannenburg bis nach Templin führt. Auf einer Hangwiese verspeisen wir unsere belegten Brote und trinken reichlich. Mittlerweile sind die Temperaturen auf über 20 Grad gestiegen.
Faszinierend schön erlebe ich die Landschaft der Havelwiesen mit saftigem Grün und einer weißbraunen Rinderherde auf der Koppel.
Als die Sonne auf Mittagshöhe steht, kommen wir durch Bredereiche. Wir schauen uns die alte Fachwerkkirche aus dem 17. Jhd. an und fahren zum Abschluss unserer langen Tour wieder die Bredereicher Landstraße zurück nach Lychen.
Es war ein erlebnisreicher Tag für mich. Hätte nicht Horst Benedix vor mir auf seinem Fahrrad gesessen, hätte ich wohl all‘ die bezaubernden Flecken und Orte nicht gefunden.