Beenzer Dorfgeschichten
Bei meiner abendlichen Lektüre in alten Zeitungsausschnitten finde ich den Hinweis, dass schon vor 1700 Lychener Bier und
Branntwein im Beenzer Krug ausgeschenkt worden war. Beim Lesen noch anderer amüsanter Details gelange ich zu dem Schluss: In Beenz muss doch noch so manche kleine Geschichte im Verborgenen
schlummern. Mit der Idee, mal hören, was die Beenzer noch so alles erzählen können, schwinge ich mich aufs Fahrrad und mache eine Tour über Rutenberg in den benachbarten Ort. Der gastfreundliche
Rosalienhof hat ja schon Schlagzeilen gemacht.
Am Dorfeingang versperren mir zehn bunte Hühner und ein stolzer Gockelhahn den Weg. Da fällt mir der Spitzname "Hühnerbeenz" ein. Bei einem solch' prächtigen Federvieh können aber die Beenzer auf
diesen Spitznamen stolz sein. Ich verabrede mich mit Otto Mathes, Angelika Baugatz und Walter Lehmann zu einem Schwätzchen für den nächsten Tag.
Sie geben mir aber den Tipp, erst einmal Elli Schäfer, die mit über 90 Jahren älteste Beenzerin, zu besuchen Ihre Familienchronik reicht bis vor 1700 in Beenz zurück. Mit gutem
Gedächtnis erinnert sie sich an Kindheit und Jugend: Im alten Lehmhaus, dem Arbeiterhaus von Bauer Karl Voß bei der Linde, wo heute der gut gehende Kaufladen steht, kommt sie am 27. Mai 1914 zur
Welt. Neun Kinder hat die Waldarbeiterfamilie Baugatz. Die Küche ist mit Feldsteinen gepflastert. Eine Stube und eine Kammer gehören zur Wohnung. Neben der über 100 Jahre alten Linde befindet
sich zu jener Zeit der alte Ziehbrunnen, aus dem alle Beenzer das Trinkwasser mit Eimern an Ketten hochziehen. Erst später wird dort eine Schwengelpumpe installiert. Als kleines Mädchen - so
erzählt sie - hat sie ihr erstes spannendes Erlebnis: "Im Ersten Weltkrieg zogen die Franzosen durch das Dorf nach Lychen. Meine Schwester hatte sich vor Angst mit den Zwillingen hinter dem
Gebüsch versteckt. Aber die Soldaten haben keinem etwas getan." Ob Franzosen durch Beenz gezogen sind, bezweifele ich zwar, aber naja.
Nach der Dorfschule geht sie bei Bauer Kietzmann in Stellung. einer der
zahlreichen Kietzmanns, deren Ahnentafel bis ins tiefe Mittelalter zurückreicht. einige Jahre arbeitet sie im Haushalt des Guts Marienhof zwischen Rutenberg und Hasselförde. "Jeder Bauer", so
berichtet Elli Schäfer weiter, "hatte seine Dienstmagd, seinen Kutscher und seinen Schäfer. Schwer war die Arbeit." Abends um halb Acht ist auf dem Gut Feierabend. die Jungen und Mädchen treffen
sich an der dicken Linde in Beenz zu Gesang und Tanz. In der Dorfgaststätte von Gustav Kietzmann finden im Sommer die Kinder- und Erntefeste und im Winter der Maskenball statt. Der große Saal
wird später auch als Kino genutzt.
Noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat jeder Bauer seinen Backofen auf dem Hof neben dem Pferdestall: "Ich selbst habe in den Nachkriegjahren Brot bei Emmi Schönfeld aus Schrot gebacken. Vom Müller
in Hasselförde bekamen wir Roggenmehl. Groß waren die Laibe und groß die Schnitten. Morgens gab es Pflaumenmusstullen und mit Milch gekochte Schrotsuppe. Zum Mittag machten wir aus Brennesseln
Spinat. Dazu gab es zwei Spiegeleier, denn jeder Bauer hatte in Beenz seine Hühner", schilder Elli Schäfer das Milieu.
Im August 1925 - das Mädchen ist gerade erst 11 Jahre alt - hat sie wieder ein unvergessliches Erlebnis: Auf dem Feld brennt eines Tages eine Strohmiete. Weil sie auf dem Acker beim
Kartoffelsammeln hilft, muss sie als Zeugin mit nach Prenzlau zum Gericht. Als sie zurück kommt, steht ganz Beenz unter Wasser. Es hat einen mächtigen Wolkenbruch gegeben: "Die Kühe standen in
überfluteten Ställen, und den Ziegen reichte das Wasser bis ans Euter. Die Männer schaufelten Gräben, damit das Wasser ablief. Bauer Schönfeld aber hatte den besten Einfall. Vorsorglich
stellte er sich den großen Brühkessel auf den Schornstein mit der Bemerkung: 'Wenn dat Woter övert Dach steigt, heb ick wenichstens im Brühkessel nen dröchten Mohrs'."
Lange Jahre arbeitet Elli Schäfer auf der LPG, bis zum 62. Lebensjahr. Sie besorgt den Ferkelstall und kocht auch für die zahlreiche Belegschaft. Für ihren gepflegten Blumengarten erhält sie von
Bürgermeisterin Frau Kloß eine Auszeichnung und sogar einmal vom Landrat eine Prämie von 500 DM.
Einer ihrer Brüder, Otto Baugatz, lebte bis zu seinem Tod in Küstrinchen. Um ihn ranken sich heute noch geheimnisvolle Geschichten. Am 23. Juni 1918 in der Johannisnacht geboren, verfügt er
über die besondere Gabe, das zu sehen, was ein normal Sterblicher nicht zu sehen vermag. Den Beenzer Kindern hat er wohl das Gruseln gelehrt.
Am nächsten Tag treffe ich mich Angelika Baugatz, Otto Mathes und Walter Lehmann unter den vier großen historischen Eichen auf dem Dorfanger. Otto Mathes weiß aus den Erzählungen der alten
Beenzer, dass unter der Adolf-Hitler-Eiche die Namen alteingesessener Beenzer
Familiengeschlechter in einer Metallröhre vergraben sein sollen.
Unter dem geschichtsträchtigen Blätterdach beginnt Angelika Baugatz, eine weitläufige Verwandte von Otto Baugatz, mit ihren Geschichten: "Otto Baugatz muss mehrmals folgendes passiert sein.
Abends, in der Dämmerung, fuhr er gelegentlich mit dem Fahrrad nach Rutenberg. In der Kneipe hatte er nämlich mit Freunden und Trinkgesellen so manchen gemütlichen Abend. aber um Mitternach, auf
dem Rückweg - wehe, wenn er nicht bedacht hatte, dass gerade Vollmond war. Kam er in einer solchen Nacht in die Nähe des Rednitz-Sees, so wurde er plötzlich von einer unsichtbaren Kraft
festgehalten und konnte solange nicht weiterfahren, bis der Unsichtbare von ihm abließ. Das Beenzer Trafo-Häuschen war für ihn ein mystischer Ort, denn dort erblickte er den Sensenmann, der ihn
zur Umkehr zwang. Einmal stand dort ein Mann, der hatte zwei Hasen. Der Schwarze war ohne Kopf, aber der Weiße, der hatte einen. Seiner Schwester Agnes muss er wohl mächtig viel Furcht eingeflößt
haben. Sie wohnte damals in dem Arbeiterhaus der Schellerschen Wirtschaft. Das war das letzte Haus an der Straße nach Mechow. Später wurde es abgerissen. Immer, wenn Agnes durch einen schmalen
Gang zum Stall gehen musste, zog sie sich vor angst die Kittelschürze über den Kopf."
Angelika Baugatz tut sehr geheimnisvoll und zeigt auf die Stelle an den vier Eichen, wo heute das Buswartehäuschen steht: "Agnes musste ja ängstlich sein, denn sicherlich hatte er ihr auch
erzählt, dass er hier einmal in der schwarzen Johannisnacht einen Leichenwagen vorbeifahren gesehen hat." sie beendet Otto Baugatz' Geschichten schließlich etwas angenehmer mit dem Hinweis, nach
seiner Version soll bei Beenz am Clansberg ein Schatz vergraben sein, der heute noch darauf wartet, gehoben zu werden.
Clansberg, Clanssee und Umgebung haben für die Beenzer von jeher etwas Geheimnisvolles. Walter Lehmann erinnert sich an den starken Wirbelsturm, der Anfang der 50er Jahre über das Gewässer
hinwegfegte: "Fischer Fritz Köhn war gerade zu diesem Zeitpunkt auf dem See. Im Nu hob die Windhose seinen Kahn samt Insassen - Fischer und Hund Purzel - in die Höhe. Vor Schreck rief Fritz Köhn
seinem Hund zu: 'Purzel, jetzt wird's ernst!' Der Sturm schleuderte den Kahn bis in die Hälsing hinein. Ein Sandsturm tobte über die Felder."
So haben die Beenzer schon so manches Unwetter erlebt und blieben auch in jüngster Zeit von Bränden nicht verschont. Otto Mather, schon mit 16 Jahren Feuerwehrmann in seiner alten Heimat und seit
1952 aktiv in der Beenzer Feuerwehr, hat den Brand Ende der 70er Jahre miterlebt, als eines morgens um 5.00 Uhr ein Blitzschlag in die Scheune von Adolph Voß einschlägt: "Die Feuerwehr trieb die
Schweine aus zwei Ställen hinaus. Die Beenzer Kinder umkreisten die 25 Sauen und 80 Läufer auf dem Feld, damit sie nicht entwischten. 1985 brannte in einer Nacht der Kuhstall der LPG.
Wahrscheinlich war Fahrlässigkeit mit im Spiel. Die Ursache wurde nie geklärt. In den 80er Jahren ging das Transformatorenhaus in Flammen auf. Diesen Brand löschte aber die Lychener Feuerwehr.
Das war für uns eine Nummer zu groß."
Otto Mathes will noch mehr über Beenz erzählen. Immerhin war er auch lange Jahre Kirchendiener. Und die Beenzer Kirche hat auch so ihre besondere Geschichte. Aber die Abenddämmerung wirft schon
lange Schatten, und mit Beklemmung fällt mir ein, dass ich zurück am Rednitz-See vorbeifahren muss. aber zum glück ist nicht Vollmond, und ich bin auch nicht in der Johannisnacht geboren.