Das Feld der Träume
Wer einen Spaziergang zur
Springstraße in Lychen unternimmt, entdeckt auf der Anhöhe zwischen hohen Tannen und Eibenbüschen den Metallmann mit Regenschirm und ein schmiedeeisernes Tor, verziert mit allerlei Zangen,
Scheren und Gartengerät. Was verbirgt sich wohl noch auf dem mit üppigem Grün bewachsenen Grundstück, lange Jahre von Lotte Wings bewirtschaftet? Heute ist hier Enkel Uwe Jähnichen am Werke. Er
hat sich ganz seinem anspruchsvollen Metier verschrieben und schafft Großplastiken aus Schrott. Surrealistisch sollen sie sein und der Fantasie des Betrachters freien Lauf lassen. Zwar kenne ich
Uwe schon lange, weiß aber nicht so recht, wie und wann er auf solche Ideen gekommen ist. Neugierig habe ich ihn kürzlich nach Ursprung und Sinn seiner Kunst befragt.
Schon als Junge in der Schulzeit lässt er sich zart von der Muse küssen, zeichnet, musiziert und singt. So richtig Lust und Liebe zur künstlerischen Betätigung bekommt er aber erst als
Dekorationsbauer in der Schlosserei der Komischen Oper in Berlin.
In der Kunst hat mich immer das Außergewöhnliche und Absonderliche fasziniert. Über skurile Ideen nachdenken und sie in Form bringen, möchte ich," erklärt er mir.
Besondere Erinnerungen spielen eine Rolle, wie die Plastik mit Regenschirm aus Trabantteilen. 1991 fertiggestellt, offenbart sie seine Verehrung für den Maler Carl Spitzweg.
Früher wie heute leidenschaftlicher Fan von Udo Lindenberg und dessen provozierenden Songs, hat er 1991 nach dem Titel "Die süße Body.Building-Braut" eine Skulptur ganz in leuchtendem Rot
geschaffen. Und wieder muss ein alter Trabant dran glauben.
Aus Spaß an der Freude biegt und schweißt er monatelang ein Geschenk für einen Freund zusammen im Stil seiner zweiten Richtung. Eiserne Blumen und Blattwerk umranken einen Briefkasten in
Manneshöhe - romantisch und ein bischen Jugendstil. die Briefträgerin wird jedesmal entzückt sein, wenn sie in Türkshof die Post einwirft.
Eines nachmittags entdecke ich in der Veranda eine Kleinplastik. "Schau Dir das an," zeigt mir seine Mutter Jutta. "Dieses Blütengewächs hat Blätter wie Menschenhände." Und tatsächlich umfasst
ein Blatt mit langen Fingernägeln eine Stahlkugel. Unten am Stiel befindet sich ein menschlicher Fuß. Etwas Geheimnisvolles, Mystisches haben die Blumenplastiken an sich. Mir gefällt das. Nicht
lange darauf, zu meinem Geburtstag, schenkt er mir "Seeds and Flowers" (Blumen und Samen) - Symbol für den immer wiederkehrenden Kreislauf des Lebens.
"Wenn berühmte Maler und Bildhauer den ästhetischen Körper als Akt festhalten," meint er eines Tages, "versuche ich es auch mal mit Erotik." Auf schräg ineinander laufenden, silbern leuchtenden
Stahlträgern bringt er wohlgeformte, halbrunde Stäbe an. Fertig ist der abstrakte Po - feuerverzinkt. Frech gibt er der ca. 3 Meter hohen Figur den Titel "Der Knackarsch" mit einem eingravierten
Zitat von Karl Liebknecht. Schaut man vom Weg aus genau hin, kann man ihn sehen.
Viele Anregungen holt er sich auf seinen ausgedehnten Reisen mit Mietwagen durch den Westen der USA und Kanada. In Nebraska besucht er Carhenge, einen Hügel mit 38 Autowracks. Skulpturen aus
ganzen Autos bzw. Autoteilen sind dort entstanden nach dem Vorbild des mystischen Stonehenge aus Steinkreisen im Südwesten Englands. Er findet das so irre, wie er selbst sagt, dass er von Januar
bis März 2003 eine 4 Meter hohe Stahlkonstruktion aus verschlungenen Doppel-T-Trägern als "Hommage an Carhenge" schafft. Er stellt sie auf dem Grundstück am Spring auf. Dazu legt er einen
Prospekt mit Erläuterungen in einem mit Blüten umrahmten Kasten am Tor aus.
"Beschreibe mal, wie Du Deine Objekte herstellst," bitte ich ihn. Die Profilträger besorgt er sich auf Schrottplätzen und neuwertige Teile bei Stahlhändlern. auf dem Grundstück stehen drei 5
Meter hohe alte Überlandleitungstürme, die miteinander verbunden sind. Sie dienen zum Aufhängen und Bewegen der schweren Teile. Zum Biegen benutzt er den elektrischen Zwei- und
Eintonnen-Kettenzug. Alles andere ist Handarbeit. Eine Großverzinkerei in Berlin-Tempelhof beschichtet die Plastiken, damit sie dauerhaft werden und schön sind.
Zu seinem Freundeskreis am Berliner Wohn- und Arbeitsort gesellt sich auch der junge Maler Olaf Holder. Beide verehren den spanischen surrealistischen Künstler Salvador Dali.
Sie verwirklichen das erste gemeinschaftliche Projekt: Vier Plastiken mit Gemälden zu dem Thema "Endzeit-Melancholie". Uwe kreiert die Skulpturen. Olaf malt seine Bilder auf die dazu gehörenden
Stahlplatten. Beide vereint der Gedanke: Der Mensch zerstört die Welt, wenn er so weiter macht. Sie entsteht neu, aber ohne ihn. Die Pflanzen erobern wieder die Erde.
Eine Bildplastik steht z. Zt. in einem Berliner Copy-Shop als Dekoration. Eine andere war vor einiger Zeit auf einer internationalen Ausstellung in der Galerie 24 in Berlin-Friedrichshain zu
sehen. Die vier Bildplastiken sind Protest gegen fortschreitende Umweltzerstörung und Aufruf zur Vernunft zugleich.
Beide nahmen auch schon am jährlichen "Kunsthof-Fest, Galerie Annenwalde" teil. Olaf Holder präsentierte einige seiner markantesten Gemälde. Das eine zeigt Hausschwein und Wildschwein als
Biedermänner. Sehr schön auch "Weibliche Rose" und "Ginko-Blatt". Uwe Jähnichen stellte u. a. die verzinkte Plastik "Sound-Elexir" aus. Sie findet bei Kindern viel Anklang, denn mit einem Klöppel
können sie den vielen Stahlplättchen Musiktöne entlocken.
"Hier in Lychen, hinter Haus und Garten, auf unserem großen Acker schaffe ich das "Feld der Träume". Dort ist Platz für die feuerverzinkten Großplastiken. Sie werden einmal eine Harmonie mit
grünenden Bäumen bilden und der Fantasie des Betrachters keine Grenzen setzen." Er führt mich hinaus auf das weite Feld. Einige Großplastiken hat er schon aufgestellt, z. B. "Der Tänzer". Alle
werden 6 bis 7 Meter hoch sein. Die "Treppe zum Himmel" wird so angelegt, dass sie in der Perspektive länger erscheint, als sie ist. Sie soll eine Referenz sein an die englische Rock-Band "Led
Zeppelin" aus den 70/80 Jahren zu ihrem Song "Stairway to Heaven".
Uwe führt mich zurück ins Haus, denn er hat für uns alle einmal selbst chinesisch gekocht in der "Schrägen Küche". Schräg gefließte Wände, schräge Arbeits- und Kochplatte, schräger Abwaschtisch -
alles schräg. Die Kochtöpfe werden von einem Gestell mit Bürettenklammern gehalten, wie es sonst in Physik- und Chemielabors üblich ist. "Das ist mein Kunstobjekt aus dem Jahre 2004", bemerkt er
mit Stolz.. In seiner Küche hat er das Konventionelle überwunden. Sein Experiment ist gelungen. Auch wenn alles schräg ist, hat er geradewegs schmackhaft gekocht. Das gemeinsame Mittagessen
genießen wir aber bei Mutta Jutta in der geraden Küche.
Uwe Jähnichen hat mich mit seinem starken Willen und Elan so beeindruckt, dass ich einmal als Fremdenführer auf seinem "Feld der Träume" arbeiten möchte.