Der Spökgrund

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Der "Spukgrund" an der Alten Templiner Landstraße

in Hohenlychen.

Wenn man die alte Templiner Landstraße vom Schützenhaus entlang wandert, kommt man bald an eine Stelle, die im Volksmund der "Spökgrund" heißt. Ein leiser Schauer überläuft uns, wenn man von einem alteingesessenen Lychener hört, wie dieser an und für sich schöne Waldgrund mit dem sonderbaren Namen belegt wurde.

Zu der Zeit, da das benachbarte Dörfchen Annenwalde noch eine Glashütte besaß, sind des Sonntags die Glasbläser immer nach Lychen zum Tanz gekommen. Ihre Rückkehr fiel gar oft in eine Stunde, da Mitternacht schon längst vorüber war. Da es schmucke, schlanke Burschen waren, diese Annenwalder Glasbläser, waren sie den Lychener Mädchen willkommene Gäste, zumal sie das Tanzen meisterhaft verstanden und ihre Kunst des Glasblasens mit der des Küssens gleichen Schritt hielt. In ihren Adern floss ein leichtes Blut, und als geborene Thüringer wussten sie durch leichtbeschwingte Reden manches Mädchenherz zu betören.

Was aber die Lychener Burschen waren, die sich schwerfälliger in ihrem Tun und Treiben gaben, sie mussten zusehen, wie die Annenwalder sich ein Mädchenherz nach dem anderen eroberten. So kam es denn oft zwischen den beiden Parteien zu ernsthaften Reibereien, die in den meisten Fällen in Tätlichkeiten ausarteten.

An einem Maisonntag waren die Glasbläser wieder einmal zum Tanz erschienen. Schon am frühen Nachmittag beherrschten sie voll und ganz den Tanzboden. Sie ließen die Lychener Mädchen kaum aus den Armen. Das löste bei den einheimischen Tänzern wildeste Empörung aus. Verbissen standen diese am Schanktisch, tranken ein Glas Bier nach dem anderen und warfen ihren Rivalen zornige Blicke zu. Auch den Mädchen aus der eigenen Stadt kamen sie nicht gerade freundlich entgegen. Der Wirt ahnte für den kommenden Abend nichts Gutes. Er forderte heimlich behördlichen Schutz für den Abend an. Als der Stadtpolizist am Abend vor dem Lokal auf und ab patroullierte und ihn die Burschen gewahrten, steigerte sich die Erregung aufs höchste. Die Lychener Burschen verließen das Lokal und verschwanden im Wald mit der Absicht, den Annenwalder Nebenbuhlern aufzulauern, wenn diese ihren Heimweg antraten. Gegen Mitternacht brachen diese auf. Nichts Böses ahnend, führten sie ihre Mädchen am Arm, die ihnen noch ein Stück Weges das Geleit geben wollten. Lärmend und singend zogen die Glasbläser mit den Mädchen die Straße entlang.

Als sie eine Weile gegangen waren, brach plötzlich aus dem Dickicht eine Rotte verkleideter Burschen mit langen Knüppeln hervor. sie hieben mir nichts, dir nichts auf die späten auswärtigen Gäste ein. Die Mädchen brachen in wildes Schreien aus und rannten, was sie laufen konnten, nach der Stadt zurück.

Zwischen den Tänzern aus Annenwalde und den vermummten Gestalten aber entstand ein blutiges Handgemenge, bei dem ein Glasbläser als Toter auf der Strecke zurückblieb. Man war diesen kurzerhand in den Waldgrund und ließ ihn liegen.

Alle Nachforschungen nach dem Täter blieben erfolglos. Wochenlang zogen sich die Untersuchungen hin. Der Täter blieb unerkannt. Seitab aber sind die Annenwalder Glasbläser nicht mehr in Lychen zum Tanz erschienen. In jenem Waldgrund aber ging von Stunde an der Spuk um. Jeder, der an jenem Ort vorbeikam, sei es bei Abend oder bei Nacht, wollte dort verdächtige Geräusche vernommen haben. Bald sei es das Wimmern eines sterbenden Menschen, bald sei es ein Röcheln, dann wieder ein dumpfes Gurgeln, was das Ohr zu vernehmen glaubte. Hin und wieder wollten dort in der Schummerstunde Beeren und Pilze suchende Frauen sogar schon unheimliche Gestalten in vermummten Kleidern und Mänteln gesehen haben, die blitzschnell an ihnen vorübergehuscht wären.

Es seien die unruhigen Seelen der mit Blut befleckten Burschen von einst, die noch heute dort ihr Wesen trieben und hier auf Erden keine Ruhe und im Grab keine Rast finden können, sagen die Leute.

Bis auf den heutigen Tag meiden ängstliche Gemüter noch abends diesen Weg am Spukgrund vorbei, in der Sorge, sie könnten von diesen umherirrenden Gestalten überfallen werden.

(Nach dem Lychener Heimatdichter Gustav Metscher, aufgeschrieben vom Ortschronisten Eberhard Kaulich).

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