Der weiße Rausch des Kanuten - Eine Fantasy-Story

"Das Menschenleben ist ein Traum. Träum' ihn glücklich!"
( Aus einem alten Poesiealbum, eingeschrieben im Jahre 1952 von der Lehrerin Margarete Stellbaum)

Glücklich träumen? Ich habe Urlaub. Also - flugs das Kanu starklar gemacht. Schlafsack, Proviant und Einen, der von innen wärmt, eingepackt - denn die Nächte sind bisweilen empfindlich kühl - und sogleich in See gestochen. Der Wasserwanderweg ist fantastisch aber auch anstrengend. Küstrin-See, Küstriner Bach und Oberpfuhlsee durchquere ich mit kräftigen Schlägen. Schleppe den leichten Nachen über die Schleuse bei zügigem aber rücksichtsvollem Verkehr, der die top-moderne Asphaltstraße am Angelberg herunterbraust. Schnell noch einmal "Nachschub" besorgt im Café "Alte Mühle" - und wie von den Schwingen eines Schwans getragen, steuere ich den malerischen Stadthafen an. Am Kai begrüßt mich von weitem eine übermannsgroße, grob aus einem alten Baumstamm geschnitzte Neptun-Skulptur. Ein regionales Kunstwerk, staune ich.
Ein paar kräftige Züge aus dem Doppelkorn beflügeln meinen Trieb nach neuen Entdeckungen. Wache oder träume ich? Gepflegte Anlagen mit mit leuchtend roten Blumen und eiszeitlichen bizarren Granitsteinen säumen die Uferwege. Am kleinen Bistro trinke ich einen starken Kaffee von der Original Lychener Rösterei. Allerlei Kräutertees - heute nicht so mein Fall - stammen aus Anlagen des einmaligen Kultur- und Bildungsparks. Er soll mich die nächsten Tage interessieren, mir Wissen und Erholung bringen.
Vom Entdeckerdrang beflügelt, steige ich die Feldsteinstufen an der mitteralterlichen Stadtmauer empor. Ätherische Musik klingt aus dem kleinen, altrosa getünchten Torhäuschen, und musisch begabte Kinder winken mir mit ihrem jungen Lehrer lächelnd zu. Auf der anderen Straßenseite lockt der Eisvogel in die frisch sanierte Tourismus-Information unter dem Bogen des alten Fürstenberger Tors. Ja, in Lychen scheint alles klug ausgewählt am richtigen Platz zu stehen. Ich erkundige mich nach uckermärkischen Feinschmecker-Restaurants, Supermärkten, Vergnügungsstätten, Obstständen und Souvenirläden. Die schon früher beliebte Fürstenberger Straße hat wieder einiges zu bieten. Das verdient einen belebenden Schluck. Rechter Hand hat das Gebäude mit der Gedenktafel an die berühmte "Pinne" eine einfache aber geschmackvolle Fassade erhalten. Linker Hand gegenüber winkt die Gaststätte "Zum Stadthafen" mit erlesenen Fischmenüs. Daneben ein kleiner Andenkenladen mit Miniflößen, Eisvögeln in allen Varianten, Piri-Piri und Pilli als schalkhafte Stadtoriginale, Ansichtskarten, Lychener Bildbändchen, Stadtgeschichten und vieles mehr. Wer noch nichts für's Camping mitgebracht hat, kann gleich ein paar Häuser weiter alles preiswert einkaufen. Schräg gegenüber gibt es nicht nur Party-Service sondern auch Topfwurst mit Sauerkraut und Pellkartoffeln. Darauf habe ich keinen Appetit und ziehe lieber mein Fläschchen. Ein paar Schritte weiter - ich wische mir die Augen - steht ein mit viel Glas gebauter Supermarkt, zweigeschossig "Alles für den kleinen Euro". Vor allem Urlauber kaufen dort ein, denn bis zum Stadthafen ist es nur ein Katzensprung. Selbst vor den eintönigen Querblöcken haben sich Stände mit frischem Obst, Getränken und Süßigkeiten eingerichtet. Ich kaufe und bleibe bei der klaren Sorte, denn der Tag ist noch lang, und ich möchte noch viel erleben. Und dann der Marktplatz1 Ein lautes "Oh. la,la!" entweicht meinen trockenen Lippen. Bänke mit Rücklehnen laden unter den Linden um das ehrwürdige Rathaus zum Verweilen ein. Jung und alt sitzen einträchtig zusammen. Omis und Opis freuen sich über die fröhlichen Kinder, die gerade lauthals aus dem nahe gelegenen Märchenpark mit ihren freundlich grüßenden jungen Müttern kommen. Handwerkerburschen in leuchtend farbigen Monturen eilen geschäftig über den Platz.  Gehwege und Straßen werden von kräftigen, braungebrannten jungen Burschen gefegt. Textilmode- und Lederwarengeschäfte haben ihr Angebot draußen postiert. Auf und ab flanierende Blumenmädchen bieten Fremden und Einheimischen bunte Sträuße, Windmühlen und lustige Luftballons an. Ich kaufe mir einen roten Phallus-Ballon und lasse ihn über mein Haupt tanzen. Hier hat wohl jeder seine  Job, denke ich. Wohlstand macht die Lychener zufrieden, freundlich und offenherzig. Das "Ratseck", bestes Haus am Platze, wirbt hinter offenen Arkaden zum abendlichen Tanz. Soviel Trubel!! Ich brauche Ruhe. Mich zieht es zur ehrwürdigen St.-Johannis-Kirche. Saftige grüne Rasenflächen und duftende Rosenrabatten werden von drei fleißigen Frauen gepflegt: "Teilzeitjob bei unserer Kirche - das frischt die Haushaltskasse auf", scherzen sie lachend mit mir. Anerkennend reiche ich ihnen meinen Zaubertrank. Dankend lehnen sie ab. Nun gut. Ick proste ihnen auf ihr Wohl zu. Eigentlich bin ich schon ziemlich erschöpft vom hellen Sonnentag. aber eine der Frauen empfiehlt mir noch das "Haus des Gastes". "Da finden sie alles, was ihr Herz begehrt", zwinkert sie mir zu. Wie sie das nur meint?
Wieder zurück zum Marktplatz, schlenkere ich etwas schräg rüber zur Stargardter Straße. Unten, am Mühlenbach, leuchtet das "Haus des Gastes" mit tollsten Aktivitäten. Am hinteren Seitenflügel blühen sogar rote Geranien vor den Fensterchen. Weil mir nicht so nach roten Geranien ist, lasse ich mich lieber vom noblen Eckhaus in den Bann ziehen. "Panorama-Café-Eichmann - Neu" lässt mich durch eine breite Glasfassade bis zum Oberpfuhlsee hindurch blicken. Unter Palmenkübeln - wie vor dem Krieg - stehen die frisch weiß eingedeckten Tische. Hier wird's teuer, denke ich. Mir fällt plötzlich mein Kanu ein. Hoffentlich finde ich zurück.
Ein eng mit der Natur verbundener, gesetzt wirkender Herr empfielt mir die Kienofenpromenade: "Schauen Sie sich Lychens wertvolle alte Bäume an, von unseren Schülern liebevoll gekennzeichnet". Am Kienofen endlich angekommen, empfinde ich - schon etwas verklärt - die innige Beziehung der liebenswerten Lychener zu ihrer märchenhaften Natur. Auf einer von Gebüsch umrankten grünen Bank mit Rücklehne setzt ich mich nieder und schlafe tief ein. Irgendwann werde ich plötzlich heftig gerüttelt und geschüttelt. Es ist Wölfchen. Er reicht mir einen "Wachmacher": "Kumpel, was Du mir alles erzählt hast, ist blanke Fantasie." "Aber nein", entgegne ich trotzig. "Träume, Visionen und Sehnsüchte sind der erste Schritt zur besseren Wirklichkeit." Dankend lehne ich den "Wachmacher" ab. Ein lichter Gedanke durchzuckt mich: Ich habe noch 14 Tage Urlaub und möchte mich hellwach an den rauschenden Wäldern und blauen Seen erquicken. Mein Kanu liegt allerdings an der gegenüber liegenden Seite des Sees.

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