"Guten Tag, schöne Frau"

Förster Lehmann - ein Lychener voller Lebenslust, Witz und Humor

"Noch seh` ich stolz die Uniform Dich tragen.

 Der große Schnurrbart wehte keck im Wind.

Und Deine Liebe galt dem Fischen, Jagen.

Und nebenbei auch manchem schönen Kind."                                                 

Kaum besser als dieser Vers können Worte Förster Lehmann beschreiben. Sie sind Teil eines Gedichtes, das eine Verwandte dem Ehepaar 1952 zur Goldenen Hochzeit widmet. Schon seit langem trage ich mich mit der Idee, Opa Lehmann, das Lychener Original, in einem Portrait gedanklich wieder für uns aufleben zu lassen. Hat er uns allen doch so manchen Spaß bereitet.

Und welch`glücklicher Zufall! Enkelin Eva Zenk kommt Ende 2005 nach Lychen. Mit ihrer Hilfe beginnen die Recherchen. Im Februar 2006 besucht Robert Lehmanns Urenkel seine Mutter im Appartementhaus. Er kennt den Urgroßvater am besten. Jedes Jahr hat er die Sommerferien bei den Urgroßeltern an der Kienofenpromenade verbracht.

Am 25. November 1877 wird Robert als Sohn von Julius und Karoline Lehmann in Antonswald - heute Lubowo - östlich von Posen geboren. Als Junge flink wie ein Wiesel, wächst er zu einem stattlichen jungen Mann heran. Beim Grafen von Konratowski in Posen geht er in die Lehre, arbeitet in der Fasanerie und wird zum Revierförster und Fasanjäger ausgebildet. Der junge Robert geht als Soldat zum Wehrdienst und kommt an den schönen deutschen Rhein. Der forsche Jüngling tanzt auf jedem Ball, denn in Koblenz und am Ehrenbreitstein gibt es hübsche Mädchen. Nach dem Wehrdienst arbeitet er an verschiedenen Orten, so z. B. in Galizien, nördlich der Karpaten. Auf einem großen Gut mit 12 000 Morgen Land bei Demmin ist er als Revierförster und Fasanjäger angestellt. Später kommt er in die Schorfheide.

Am 19. Mai 1902 heiratet er seine Frau Elise in Bralitz zwischen Oderberg und Bad Freienwalde. Die älteste Tochter Liesbeth bringt seine Frau mit in die Ehe. Frieda wird geboren. Sie heiratet später Maler Rander in Lychen. Danach erblicken Agnes, Lucie und Wanda das Licht der Welt. Lucie wird die Mutter von Eva Zenk. Den Töchtern ist er ein guter und gerechter Vater. Allerdings hat er bisweilen mit Liesbeth Probleme: "Liesbeth ist ein Bürgermeister. Sie will bestimmen."

Im Ersten Weltkrieg wird Robert Lehmann eingezogen und übersteht die Front unversehrt.

Schon vor 1922 steht er als Förster im Dienst des Grafen von Arnim in Boitzenburg/ Uckermark.

Ab 1922 beginnt die schöne Zeit in Lychen. Er übernimmt ein privates Jagdgebiet, das der Fabrikant Meiser aus Berlin außerhalb vonLychen gepachtet hat. Für seine Tochter hält Fabrikant Meiser dort auch Reitpferde. Familie Lehmann zieht in das Jagdhaus in Hohenlychen ein. Chef Meiser ist großzügig und stellt seinem Förster ein Auto, einen Tatra der damaligen Zeit, zur Verfügung.

Eva Zenk blickt auf das gemütliche Leben im Jagdhaus zurück: "Ich wohnte vorher in Eichhof. Mein Vater war Melkermeister. !928/29 holten mich die Großeltern nach Hohenlychen. Weil hier die Schule besser war, habe ich die Woche bei ihnen verbracht. Opa hatte eine großen Jagdhund `Treff`. Im Wohnzimmer hing ein großes Portrait. Großvater hatte immer respektvolle Worte für das Bild: `Liebes Kind, das war unser Kaiser!"

Robert Lehmann, leidenschaftlicher Waidmann, jagt so manchen Braten für die Familie und Freunde. Lebenslustig, wie er nun einmal ist, fehlt er auf keinem Lychener Fest. "Einmal, nach einem kräftigen Trinkgelage," so erzählt Eva Zenk, "Fand er sich im Graben an der Templiner Chaussee wieder. Die Zechgenossen hatten ihm den schönen Bart abgeschnitten. Opa fühlte sich so lange krank, bis der Bart wieder gewachsen war."

Die kleine Eva lernt bei ihm im Zenssee schwimmen. Liebevoll macht er ihr Mut: "Du gehst nicht unter. Ich stehe mit dem Käscher da." Eines Tages fehlt im die Brille: "Die muss mir jemand gestohlen haben," sagt er in solchen Situationen immer als erstes. Eva zeigt auf seine Stirn: "Du hast sie doch hier oben!" Seine Antwort: "Ja, liebes Kind."

Wichtig sind für ihn der Schützen- und der Anglerverein, wo er gerne mitwirkt. Einmal wird er Schützenkönig, was ihm teuer zu stehen kommt. Er muss eine Saalrunde ausgeben.

Förster Lehmann arbeitet bis 1942. Zwischen 1940 und 1944 zieht die Familie aus dem Hohenlychener Jagdhaus in die Kienofenpromenade am Stadtsee. als Rentner widmet er sich fortan voll seine Leidenschaften, vor allem Angeln und Krebse fangen.

Bald jedoch wird das geruhsame Leben durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Aus Angst vor der Roten Armee flüchten die meisten Lychener mit Sack und Pack aus der Stadt in die Wälder. Robert Lehmann verstaut alles in den Kahn: Einen Sack Kartoffeln, Omas Eingewecktes, Hühner und Kaninchen. Enkelin Eva hat mit ihren drei Kindern Berlin verlassen. Auch sie finden Platz im Kahn. Opa setzt ein Segel, und ab geht`s in Richtung Großer Lychensee zum Kleinen Werder. Noch auf dem Stadtsee kommen Flugzeuge und beschießen den Kahn. Schnell wird das Segel gerafft. Rechts und links treffen Kugeln ins Wasser Aber die Familie hat Glück. Großvater, wie immer in Försteruniform mit dem Jagdgewehr im Kahn, rudert bis zur kleinen Insel. In dem Häuschen erwartet sie schon Frau Wilke. Vorsorglich wird das Gewehr in ein Leinentuch gewickelt und vergraben. Kurz danach kommen Russen auf die Insel und stechen am Haus in die Erde. Sie sehen Robert Lehmann in Uniform: "Du Offizier!" Alle bezeugen, dass er Förster ist, und sie lassen von ihm ab. Aus Angst, die Russen kämen wieder auf die Insel und würden das Gewehr finden, gräbt es Eva nachts aus und wirft es in den See. Großvaters einziger Kommentar: "Warum hast Du nicht wenigstens das Zielfernrohr abgemacht?"

Einige Tage später kehren sie nach Lychen zurück. Das Haus ist abgebrannt. sie richten sich mit fünf Personen in der Waschküche am Seeufer ein. Eines Tages verlangt von ihm ein Russe, er soll zur Alten Mühle am Stadtsee hinüber rudern. Enten fliegen über das Wasser. Vergeblich versucht der Soldat, sie zu schießen. Robert Lehmann nimmt das Gewehr und holt zwei Enten runter. Der Russe: "Du Partisan. Setz`mich ab!"

Ab 1953 kommt Eva Zenks Sohn Heinz jedes Jahr in den Sommerferien aus Westberlin zu den Urgroßeltern nach Lychen. Er soll das seltene Glück haben, seinen Urgroßvater 22 Jahre lang zu erleben. Ich frage ihn, wie sie so miteinander ausgekommen sind. "Ich war für ihn wie ein Partner", antwortet Heinz. Wenn wir mit dem Kahn zum Angeln fuhren, steckte er sich erst einmal die gebogene Pfeife in den Mund und den Flachmann in die Seitentasche. Mir gab er die kleine Sherlock-Holmes-Pfeife mit Tabak zum Paffen. Wenn die Angeln ausgelegt waren, meinte er zu mir: "So, mein lieber Sohn, jetzt woll`n wir der ollen Sau mal `nen Kuss geben.`Er nahm einen aus dem Flachmann zur Brust und reichte ihn dann mir. Ich war damals ungefähr zehn Jahre alt."

Seinen Kahn behandelt Robert Lehmann wie seine zweite Wohnstube. Liegt ein Blatt drin, muss es raus.

Im Sommer 1953 fährt er mit dem Urenkel ab und zu nach Köppens Bach an die Eisenbahnbrücke. Auf den alten Floßstämmen ernten sie Brunnenkresse. Im Garten schneidet er sorgfältig eine Rose mit Ansatz ab, macht eine  T-Schnitt in die Rinde eines speziell dafür geeigneten Baumes, setzt die Rose ein und verbindet die Nahtstelle mit Bast. Dann sagt er zu Heinz: "Ab jetzt gehst Du jeden Tag hier lang und siehst, wie lange die Rose blüht!"

Beim Friseur Königsberg unterhält er die Kunden. Aus jener Zeit, Anfang der fünfziger Jahre, mag wohl auch sein stärkstes Angelerlatein stammen, das uns im Originalton erhalten geblieben ist:

"Ich habe einen großen Wels an der Angelschnur gehabt. Und da wollte ich ihn reinhaben. Und der war so schwer. Da habe ich mich gebückt und bin reingefallen. Ich hab`den Wels um den Bauch herum gegriffen und ganz fest gehalten. Mein Bütel hat ganz auf eine Seite gehakt und ist mir beinahe an die Augen gegangen. Und da bin ich mit dem Wels bis an die Schleuse rangeschwommen. Na, kurz und gut. Da stand der junge Herr Krebs an der Schleuse und hat gesehen, dass der Pischel von dem ollen Hut so wackelt. Da hat der gedacht, das muss doch Opa Lehmann sein. Richtig! Nu ist er rangekommen. Und ich bin mit einer Hand immer weiter gepaddelt. Und der Wels ist immer weiter rangegangen an die Schleuse. Endlich hat er mich dann geschnappt und unter die Arme gegriffen. Ich hatte den Wels ganz fest gehalten am Bauch. Und da hat er mich rausgezottelt mit dem Wels am Sande. Ich hab`den Wels ganz festgehalten und bin hochgegangen nach Friseur Königsberg hin. Da hab`ich ihn zerstückelt. Und da kam Lehrer Mildschlag. Der ist auch schon längst tot.. Den deckt schon lange der grüne Rasen. Und der frug mir:`´Wo hast Du denn den Wels gelassen?`Na, ich hab`ihn zerstückelt. Hab`ihn bei Schlächter Schumacher hingebracht. Kurz und gut. Ich sage: ´Du kannst rübergehen. Pfund eine Mark. Der will ihn räuchern. Hab`immer solche Pfundstücke geschnitten.`Dann ist er rübergegangen. Und Franz Krebs ist auch noch mitgegangen. Der hat sie geführt nach Schlächter Schumacher. Und nun wollten sie ein Stück kaufen von dem Wels, von dem geräucherten Wels. Da staunten sie mittenmal. ´Herr Lehmann hat doch keine Wels hierhergebracht!`Na, nun wussten sie ja schließlich Bescheid, dass das Wind war."

Lychener, die Robert Lehmann erlebt haben, wissen noch so manch`andere kuriose

Gechichten zu erzählen. Der reinen Fantasie entsprungen oder auch nicht, sind sie ihm manchmal auch angedichtet worden.

Auf dem Stadtsee ist ihm allerdings einmal etwas wenig Erquickliches widerfahren. Im März 1963 berichtet die "Templiner Rundschau", wie der 86jährige ehemalige Förster Robert Lehmann aus Lychen fünf Meter vor der Schleuse auf seinem Weg zur Stadt auf dem Eis eingebrochen ist. Straßenarbeiter holen ihn mit Bootshaken und Leiter an Land. Ein zufällig vorbeifahrender Kraftwagen der sowjetischen Armee bringt ihn nach Hause, wo ihm gute Nachbarn Hilfe und Betreuung geben. Aber, nicht unterzukriegen, wird er wenige Tage später wieder mopsfidel in der Stadt gesehen.

Fürsorglicher Nachbar ist Familie Behrendt. Vor allem Hilde Behrendt kümmert sich um ihn, als er alleine in der Kellerwohnung in der Kienofenpromenade lebt, denn schon 1962 ist seine ruhige und immer geduldige Ehefrau gestorben. Hilde Behrendt wäscht für ihn und bringt ihm Mittagessen. Ab und zu trinken sie auch gemeinsam ein Schnäpschen, denn Opa Lehmann hat immer etwas zu Hause. Aus Westberln schicken ihm die Verwandten ab und zu ein Päckchen. Deshalb ist Opa Lehmann bei den Kindern am Kienofen auch so beliebt, vor allem wegen seiner Milka-Schokolade. Behrendts nehmen seine Originalstimme mit den Liedern, Episoden und Schwänken auf einer Tonband-Kasette auf, die uns erhalten geblieben ist. 

Beim Abhören seiner Lieder habe ich ihn wieder lebhaft vor Augen: Vom Kienofen aus butzt er seinen Kahn über den Stadtsee nach Köppens Gang. Wie immer singt er dabei ein lustiges Lied, diesmal "Das Vergissmeinnicht":            

 Ich pirscht`einmal auf einer grünen Flur.

 Da fand ich eine schöne Mädchenspur.

Sie saß am Bach und pflückte Blumen sich.

Und wandt zum Kranze ein Vergissmeinnicht.

Wie viele seiner Lieder, hat auch dieses zum Schluss einen beglückenden Höhepunkt.

Köppens Gang geht er hinauf, vom Ischias gebeugt, gestützt auf seinen Gehhilfen, den Rucksack auf dem Rücken und den Försterhut mit Pischel auf dem Kopf, um in der Stadt einzukaufen und den Frauen im Geschäft einen "Schönen Tag" zu wünschen.

Stolze 89 Jahre ist Opa Lehmann alt geworden. 1966 ist er im Altersheim Engelsburg gestorben. Ich  wünsche ihm für immer einen schönen Tag in den ewigen Jagdgründen.

              

 

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