Lychen hat wieder einen Webstuhl
Martina Busch lässt das alte Handwerk mit modischen Kreationen neu aufleben
Wer das noch nicht weiß, schaue einfach mal in die Weberei UCKER-LEIN, Fürstenberger/Ecke Vogelgesangstraße hinein. Sollte sich gerade keine Kundschaft handgewebt Modisches im Geschäft aussuchen, kann der Besucher Martina Busch am Flachwebstuhl weben sehen.
Die Weberei UCKER-LEIN in der Fürstenberger Straße.
Erst sie hat mich in einem Gespräch darauf aufmerksam gemacht, dass sie ein altes Lychener Handwerk wieder aufleben lässt. Blicken wir in die Vergangenheit unserer Stadt zurück, so waren unsere Lychener nicht nur mit Ackerbau, Viehzucht, Handwerk, Gewerbe, Schifffahrt und Flößerei beschäftigt, sondern sie waren auch fleißige Weber und Färber. Lychener Leinen und Wollwaren wurden bis ins 19. Jahrhundert über die Stadtgrenzen hinaus verkauft.
Martina Busch hat mich neugierig gemacht. Ich wollte von ihr erfahren, wie sie Traditionelles mit eigener Kreativität in ihrer Webstube verbindet, einmalige Designs entwirft und modische Kleidung und Raumaccessoires herstellt.
Deshalb treffen wir uns nach Ladenschluss in der Weberei, und Martina Busch erzählt aus ihrem interessanten Berufsleben: „Mit 17 Jahren hatte ich einer Weberin zugeschaut. Ich war begeistert. Wie eine Eingebung war mir von Stunde an klar: Das muss ich lernen. Das ist mein Beruf.“
Auf der Insel Rügen geboren, zieht sie, als sie zehn Jahre alt ist, mit ihren Eltern nach Vietmannsdorf in die Templiner Gegend, aus der ihr Vater herstammte.
Eine Lehrstelle als Handweberin findet sie zu DDR-Zeiten nicht. Martina Busch wird Bibliothekarin. Ihre Leidenschaft für die Weberei aber bleibt. An freien Wochenenden, im Urlaub besucht sie Weberinnen, lernt von ihnen und nimmt an Praktika der Webkunst teil. Mit 18 Jahren kauft sie sich den ersten Webstuhl. „Ich hatte eine Suchanzeige in einer Zeitschrift für Kleintierhaltung aufgegeben. Nur eine Zuschrift erhielt ich. Und die kam aus Ludwigslust.. Dort stand der Webstuhl in einer alten Scheune. Für viel Geld habe ich ihn gekauft. Professionelle Werkstätten hatten es etwas leichter. Sie konnten damit rechnen, nach drei Jahren einen aus der Webstuhl-Manufaktur in Karl-Marx-Stadt zu erhalten.“
Bei der Arbeit am Flachwebstuhl.
Der Flachwebstuhl bekommt – wo Martina Busch auch immer wohnt – seine eigene Stube. Sie webt in der Freizeit und findet schließlich nach der Wende in den 90er Jahren den Meisterbetrieb von Ulrike Jünger, einer renommierten Weberin, in Rubenow bei Anklam, wo sie eine zweijährige Ausbildung mit Berufsschule erhält und abschließt.
Martina Busch möchte ihre Fertigkeiten weiter vervollkommnen. Deshalb recherchiert sie, wo es Weberinnen und Kurse gibt. Sie meint selber: „ Wie versessen war ich darauf, dort mitzuarbeiten.“ Sie nimmt an Kursen über Pflanzenfarben und Wollverarbeitung vom Schaf bis zum gefärbten Faden teil.
Auslandsaufenthalte kommen hinzu wie z. B. in Rumänien und Polen. Der Winter 2010/11 wird für sie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Sie reist nach Nepal, um dort in einer Weberei zu arbeiten. Rot ist hier die dominierende Farbe. Rot ist das Hochzeitskleid der Braut. Rot gekleidet gehen die Brautjungfern. Inspiriert von diesen warmen Tönen verwendet sie heute gerne Rot für ihre Stücke.
Zum ersten Webstuhl kommen weitere hinzu. Weil ich gerade den Hochstehenden betrachte, erklärt mir Martina Busch die Unterschiede: „Jeder Webstuhl hat seine eigenen Voraussetzungen, um bestimmte Stoffe zu weben. Mit dem Hochwebstuhl werden Gobelins, Teppiche und Läufer hergestellt. Auf dem Flachwebstuhl dagegen – wie der Name schon sagt – wird Flachgewebe produziert, also Meterware.“
Ich möchte gerne wissen, welche Garne sie verwendet. Und so erfahre ich von ihr, dass die meisten mit Wollgewebe anfangen. Wolle lässt sich am einfachsten verweben, weil sie geschmeidig ist und keinen Widerstand leistet. Am anspruchsvollsten sind Leinen und Hanf. Leinen ist ein störrisches Garn und deshalb schwer in Form zu fügen. Für Leinen und Hanf braucht man Erfahrung. Der Laie kann Hanf und Leinen nach der Verarbeitung zu Stoffen kaum unterscheiden. Doch es gibt Unterschiede. Hanf lässt sich nie ganz weiß bleichen. Der Hanfstoff ist seidiger als der Leinenstoff.
Unsere Lychener Weberin verarbeitet nur Naturfasern. Ihre Garne sind fast alle ökozertifiziert. In der Fachsprache werden sie Gots-zertifizierte Garne genannt. Immer mehr Garnhändler stellen sich auf dieses Angebot um, weil die Nachfrage nach Naturfaser-Kleidung zunimmt.
Martina Busch erläutert mir noch genauer ihren Beruf, der eigentlich eine Berufung ist:
„Ich bin Handweberin, arbeite traditionell, experimentiere mit überlieferten Mustern, um sie zu bewahren. Ich stelle Stoffe her, die es nur bei mir gibt. Meine Zeichnungen und Berechnungen für die Designs sind ganz individuell. Eine Handweberei, die kreativ sein will, schafft sich ihre eigenen Muster. Klassische alte Stoffmuster verändere ich so, dass man nicht mehr erkennt, woher sie ursprünglich stammen, z. B. aus Bettwäsche oder Handtüchern.“
Es gibt Zeiten, da webt sie ganze Serien in Grün-, dann wieder in Blau- oder Brauntönen und in Anthrazit, der klassischen Farbe für Herrenschals.
Ich schaue mich im Laden um und bewundere das vielseitige Angebot: Oberbekleidung für Damen, Hemden und Westen für Herren und die modischen Schals für beiderlei Geschlecht. Für die Wohnraumgestaltung sind Tischwäsche, Teppichläufer, Decken und Gobelins im Angebot. Gardinen und Vorhänge fertigt Martina Busch nach Maß auf Bestellung an.
Modischer Wollschal in Blau und ein schickes Hemd.
„Was haben Sie denn hier im Hochwebstuhl in Arbeit“, frage ich. „Das wird ein Antependium für die Kirche in Wallmow bei Prenzlau. Das Antependium schmückt den Altar. Es trägt künstlerisch verarbeitete Zeichen, Symbole und Farben aus der christlichen Liturgie wie die Taube, den Kelch, Engel oder das Dreieck als Symbol für die Dreieinigkeit.
Aus meiner Werkstatt stammen bereits ein Antependium für das Kirchlein im Grünen und eines für die Georgen-Kapelle in Templin.
Mein großer Wunsch wäre, auch für unsere St.-Johannes-Kirche ein Antependium zu weben.
Für die Herstellung dieses kostbaren Gewebes bedarf es langer Vorgespräche mit der Kirchengemeinde. Martina Busch fertigt verschiedene Entwürfe an, und wenn die Entscheidung getroffen ist, webt sie Monate lang daran.
Martina Busch webt ein Antependium. Fotos: J. Hantke.
Mich interessiert natürlich, was am meisten gekauft wird. Schals und Tücher sind sehr beliebt und die Teppichläufer wegen ihrer Farbenspiele.
„Eine Kundin hat einmal einen Schal in changierendem Grün gekauft. Wenig später hat diese Lyrikerin, Carmen Jaud, mich mit einem Gedicht überrascht, in dem sie den Schal mit einer grünen, blauen und in allen Farben schimmernden Landschaft wie um unser Lychen zu Versen verwoben hat. Darüber habe ich mich vor allem deshalb sehr gefreut, weil dies ein Zeichen dafür ist, dass ich mit meinem Gewebe die Menschen tief erreichen kann.“
Für Interessenten gibt Martina Busch Kurse am Spinnrad und am Gurtwebrahmen. Sie nutzt Kreativangebote im Rahmen von Schulungen und Seminaren, um ihre Webkunst vorzustellen. Im August reist sie nach Lüneburg zum experimentellem Weben mit Kindern. Darauf freut sie sich schon heute, weil es Abwechslung in ihren Arbeitsalltag bringt.
An den „Tagen der offenen Ateliers“ in Lychen öffnet auch sie jedes Mal die Handweberei UCKER-LEIN für die Besucher aus Nah und Fern. Durch ihre Teilnahme an der Aktion „Roter Faden“ hat sie gute Kontakte zu anderen, hier ansässigen Künstlern geknüpft. „Ich erlebe ein solidarisches und freundschaftliches Miteinander. Das ist das Besondere in Lychen. Deshalb fühle ich mich hier wohl,“ sagt sie fast am Ende unseres Gesprächs.
Ich frage sie zum Abschluss, ob sie einen ganz konkreten Wunsch für die Zukunft habe. „Ja,“ meint Martina Busch, „auf der großen Informations- Pinne an der Oberpfuhl-Promenade werden Weberei und Färberei zu Lychens früheren Zeiten beschrieben. Ich wünsche mir, dass als aktueller Zusatz hinzugefügt wird: ‚Lychen hat heute wieder einen Webstuhl.‘“
Wer sich im Internet informieren möchte, hier der Link zu Martina Buschs Website:link
Joachim Hantke