Lychen hatte eine Löwenkopfquelle
Neugierig schleiche ich mich auf den Hof hinter das stattliche Haus
der Familie Wolf in der Berliner Straße. Und siehe, da läuft sie immer noch, die offene Quellen aus den Grundmauern. Rostrot hat sie den alten Eimer über die vielen Jahre verfärbt.
Die natürlichen Quellen und die Schwengelpumpen - sie sind fast vergessen. Und doch waren sie erquickend und lebensspendend in unserer Stadt. Mit der schweren hölzernen Wassertracht auf den
Schultern und zwei vollen Eimern an den eisernen Ketten schleppten die Alten das klare Brunnenwasser nach Hause. Zuvor wurde mit dem Nachbarn an der Pumpe noch ein Schwätzchen gemacht.
Heiß waren für uns Kinder die Sommertage in den großen Ferien. Schnell hin zur Pumpe bei Krasemanns in der Vogelgesangstraße. Schuhe aus! Ein paarmal kräftig gepumt, und das eiskalte Wasser
platschte wohltuend auf die müden Füße. Zwei, drei Schluck aus der hohlen Hand und schon wurde auf dem Pumpenschwengel geschaukelt. Wehe, wenn das die Erwachsenen sahen! Die Pumpen waren kein
Spielzeug.
Wo standen die Schwengelpumpen mit ihren lustigen gedrechselten Spitzen obendrauf? Gab es noch andere, offene Quellen im Ort? Meine Spurensuche entwickelt sich zum Puzzle-Spiel. Als Erste unter
den Kennern unserer Stadt erinnert sich Gertraud Berlin an mehrere Standorte: "Ihre Pumpe" befand sich an der Ecke Stargarder Straße/Stabenstraße gegenüber der Bäckerei Schönfeld. Eine eiserne Pumpe mit Holzrinne stand in der
Fürstenberger Straße vor Marufke. Auf historischen Fotos ist sie zu erkennen. "Sogar am Bahnhof Lychen, zwischen Wohnhaus und Bahnhofsgebäude, war eine", erinnert sie sich.
Über die zweite Pumpe in der Vogelgesangstraße geraten wir ins Grübeln. Zum Glück treffe ich Elli Hundt: "Viele Eimer Wasser schleppten meine Schwester und ich täglich auf unseren Hof. Vater
Wilhelm Lubitz hatte doch die Limonadenfabrik. Das reine Wasser von den Pumpen in der Fürstenberger und in der Vogelgesangstraße gegenüber dem Berliner hof wurde für die Brauseherstellung
genutzt. Regelmäßig erschien Herr Stahl von der Hygiene-Inspektion und überprüfte die Wasserqualität."
Auch sie erinnert sich an die Quelle mit dem Löwenkopf. Immer mehr Lychener ergänzen das Puzzle.
Auch an der Kreuzung Stabenstraße/Darrgasse vor dem Kaunert'schen Haus wurde vor allem in den Nachkriegsjahren Brunnenwasser gepumpt.
Bärbel Hampel und Eberhard Kaulich erzählen noch heute begeistert von "ihrer Pumpe" an der Ecke Schlüßstraße gegenüber der UTAG. Sie war jeden Tag beliebter Treffpunkt während der Kindheit.
Mancher ist sich allerdings nicht sicher: Stand auch eine in der Hohen-Steg-Straße vor Junkes Haus? Jawohl, auch dort soll eine gestanden haben.
Im östlichen Teil der Stadt, rundet Fritz Schröder das Bild ab, "wurde eine öffentliche Schwengelpumpe an den Anfang der Lindenstraße in der Nähe der Toreinfahrt des Grundstücks Schumacher
während der Inflationszeit gesetzt. Warum? Die Leute hatten kein Geld, das Wasser aus der Leitung zu bezahlen. Das Brunnenwasser dagegen war kostenlos." Dort, wo vor dem Krieg die Bäckerei Glück
stand, hinter Friseur Königsberg, wurde nach 1945 ebenfalls eine neue Pumpe in die Parkecke gestellt, die aber wegen der schlechten Filter nur trübes Wasser förderte.
Am Schlenken erklärt mir Herbert Reinwald, Brunnenbauer, die Funktionsweise und geht in die Geschichte zurück" "Die ersten Handpumpen wurden in früheren Jahrhunderten offen über die vorhandenen
Brunnen gesetzt. Erst später, vielleicht im 19. Jahrhundert, stellte die Stadt hölzerne Säulenpumpen auf."
Sorgfältig wurden sie im Winter mit Strohwiepen gegen den Frost eingewickelt. Aber manchmal reichte der Schutz nicht aus. "Wenn alle Wasserleitungen und Pumpen zugefroren waren -die Quellen
liefen immer.
In den eiskalten Nachkriegswintern waren sie für uns lebensrettend", erzählt Hilde Stahlberg. "Fräulein Schirrmeister gehörte das Haus Berliner Straße Nr. 16. Von der Quelle hinter dem Haus
durften wir Wasser holen. Kaffee, aber auch Saft, wurden immer mit Quellwasser zubereitet."
Am bekanntesten ist die Quelle am Spring. Hans Krasemann und Rudolf Berg wissen noch genau, wo die Kühe nach dem Weidegang an dem 4 m x 4 m, mit Holz eingefassten Becken getränkt wurden. Wo die
Quelle heraussprudelte, holten sich die Anwohner ihr Trinkwasser.
Nach dem Bau der Molkerei verlangsamte sich ihr Fluss. Zu jener Zeit wurde sie auch in Beton gefasst.
Noch lange Jahre nach der Installation der zentralen Wasserversorgung wurden Pumpen und Quellen weiterhin genutzt. Bis Anfang der 70er Jahre waren sie ein hübsches Detail in unserem Stadtbild.
Heute ziert eine Metallpumpe den Marktplatz. Sie steht genau an der Stelle, wo auf der Stadtkarte von 1732 "Publiquer Brunnen" - Öffentlicher Brunnen - markiert ist. Sie gibt auch Wasser,
versichert man mir im Bauamt. Auch eine ähnliche neue am Kriegerdenkmal gibt Wasser. Aber Vorsicht! Ehemaliges Friedhofsgelände.
Die seit 1907 in Betrieb genommene Trinkwasserversorgung nach dem Schwerkraftprinzip von den Heilstätten Hohenlychen aus mit zusätzlichem Druckspeicherreservoir am Weinbergsweg war nach Auskunft
von Bauamtsleiter Wolfram Kussatz eine echte technische Meisterleistung.
Seit 1964/65 wird das Trinkwasser mit Druckkesseln vom Wasserwerk Beenzer Chaussee in unsere Leitungen gedrückt.
Ja, und wo war sie nun, die schöne Quelle mit dem eisernen Löwenkopf?
Am Hintergebäude der Stadtmühle plätscherte sie romantisch aus dem Fundament. Vernachlässigt, schlecht behandelt, verstopft, Löwenkopf "abmontiert", hat sie sich wohl einen anderen Weg gesucht.
Aber das eiserne Rohr hat noch Wasser. Sollte dort einmal das Haus des Gastes eingerichtet werden, so sollten die Stadtväter sie wieder zum Leben erwecken zur Freude Aller - die Quelle mit dem
Löwenkopf!