Verliebt bei Nacht auf dem "Tacheles"-Dach
Ina Lindhammer - Portrait einer jungen Lychener Malerin
Ein Sonntag im September 2007 war der letzte Tag, an dem Ina Lindhammer zum ersten Mal ihre Malerei und plastischen Kreationen in der Helenen-Kapelle Hohenlychen ausstellte. Hätte
ich geahnt, dass mich dort etwas ganz Besonderes, Einzigartiges erwartet, wäre ich schon zuvor bei der Eröffnung dabei gewesen. Im gedämpften Licht der Halle schimmerten die Bilder in solch`geheimnisvollen Farben, wie ich es bisher nirgendwo gesehen habe. Sanfte Brauntöne spielten mit leuchtendem Gelb,
dunkles Rot wechselte mit sattem Grün. Die Bilder lebten in Raum und Zeit.
Gewöhnlich kommentiere ich Ausstellungen
für mich mit Bemerkungen wie "schön", "sehr dekorativ" oder "nicht mein Geschmack". Ina Lindhammers Malerei hingegen stimmte mich nachdenklich, weil ich ahnte, dahinter verbarg sich mehr als
einfach nur Schönheit und Ästhetik. eine besondere Lebensauffassung kam hier zum Ausdruck. Und darüber wollte ich einfach mehr wissen.
Allerdings ist die Zeit ins Land gestrichen, und der Sommer ist auch schon vorbei. Aber an einem sonnigen Herbsttag bin ich zu ihr mit dem Fahrrad hinaus an die Strelitzer Landstraße gefahren.
Dort lebt Ina mit ihrem Mann Holger und den drei Kindern im Vorderhaus des ehemaligen Ferienlagers Teutschenthal. Dahinter, in dem langen flachen Gebäude, hat sie sich ihr Atelier
eingerichtet.
Weil ich glaube, das Gespräch werde anspruchsvoll, beginne ich mit der einfachen Frage, weshalb sie mit ihrer Familie nach Lychen gezogen ist. "Die Antwort darauf werden Sie selber finden, wenn
wir den Nachmittag gemeinsam verbracht haben"; meint sie. Vor Lychen gibt es noch andere wichtige Stationen in ihrem Leben:
Künstlerische Ausbildung
1964 in Neuruppin geboren, wächst sie in Potsdam auf. Von 1982 bis 1986 studiert sie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifwald Kunsterziehung, Deutsch und Pädagogik. Sie konzentriert sich
vor allem auf ihre künstlerische Ausbildung. sie malt Landschaftsbilder. Zu den ersten Werken zählt eine Baumallee mit einer alten Frau in der Abenddämmerung. Das Besondere daran ist, wenn es
beim abendlichen Betrachten dunkel wird, setzt auch auf dem Bild die Dämmerung ein.
Ihre Universität delegiert sie 1986 an die Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fachrichtung Malerei und Grafik. Dort verfasst sie ihre künstlerische Diplomarbeit - Malerei und Zeichnung zum
Thema "Tanz" bei Prof. Joh. Heisig. Im Rahmen eines Kulturaustausches zwischen Dresden und Stuttgart ist sie für vier Monate Stipendiatin an der Kunsthochschule Stuttgart.
Ab 1993 widmet sie sich freischaffend der kreativen künstlerischen Tätigkeit mit Kindern und Schülern in Dresden.
Schwerer Anfang in Lychen
Im Januar 1999 beginnt für Ina Lindhammer ein neuer Lebensabschnitt. Sie kommt mit ihrer Familie nach Lychen. Von der uckermärkischen Landschaft fasziniert, hofft sie, sich hier den natürlichen
Freiraum für ihre künstlerische Arbeit zu schaffen, den sie sich schon immer erträumt hatte. Voller Optimismus und im starken Glauben an das Gute im Menschen beginnt sie ihre Tätigkeit als
Kunstlehrerin an der Pestalozzi-Schule in Hohenlychen. Fest davon überzeugt, dass in jedem jungen Menschen ganz individuelle künstlerische Begabung schlummert, möchte sie ihre Schüler
unkonventionell in Kontakt mit der Natur und mit viel persönlicher Freiheit entwickeln. Aber das Los der Pädagogen an der Schule ist hart, und die Lehrmethoden sind vorgeschrieben. Sie findet
keine Unterstützung für ihre Ideen, hat keinen festen Lehrraum, ein kaputtes Episkop wird ihr hingestellt und kaum Anschauungsmaterial zur Verfügung gestellt. In der Projektwoche macht sie
Freibrandkeramik und hat bei den Schülern den meisten Zulauf. Weil das nicht sein darf, wird ihr unterstellt, die Schüler könnten sich bei ihr ausruhen. Ein halbes Jahr Kunsterziehung in
Hohenlychen reicht für die Erweiterung ihrer Menschenkenntnis aus. Vieleicht hätte sie an einer Waldorf-Schule mehr Verständnis gefunden.
In den ersten Jahren - u. a. auch Pech mit den Vermietern - ist Lychen nicht so sehr die Idylle, die sie sich erhofft hatte. Erst an der Strelizer Landstraße fühlt sich die Familie wohl und kann
sich frei entfalten.
Atelier und Garten
Ina Lindhammer beginnt mit mir den spannenden Rundgang. Sie öffnet das Atelier. Der weite Raum mit breiten Fenstern bietet viel Platz und Licht für die Ausstellung der Gemälde, eigenwilliger
Holzwurzelplastiken und hübscher Filzarbeiten. An einer Leine, vom einfallenden Sonnenlicht durchstrahlt, schimmern bunte Mandalas und Zeichungen auf transparentem Hintergrund. Ich nehme Fotos
auf, z. B. "Die Hochzeit" - ein Brautpaar, und im Hintergrnd schweben schon - wie in Gedanken - die drei Kinder. Ausdruck der Sehnsucht nach Familienglück.
Dann führt mich Ina in einen kleineren Raum. Hier entdecke ich einige ihrer meisterhaften Portraits: "Das sind Bildnisse von Freunden, junge Frauen und Männer, die mich durch ihre Einzigartigkeit
zum Portraitieren gereizt haben. Irgendwie sehen sie toll aus, ihr Körperliches und der Gesichtsausdruck, eben nichts Langweiliges."
Jetzt will sie mit mir in den Garten gehen. Wir klettern einen kurzen Abhang hinunter. Vor uns die weite malerische Landschaft der Feldmark - Motiv für Malerei, Grafik und Fotografie, mehrfach
schon von anderen Künstlern gestaltet. Ich bin etwas verwirrt, denn das ist kein üblicher Garten, wie ihn der Lychener Ackerbürger mag. Ds ist eine schwer begehbare Hügellandschaft mit rankenden,
in die Höhe ragenden oder geduckt kriechenden Kräutern, Büschen und Bäumchen. Hier wachsen Wildblumen, -salate, Gewürzpflanzen, pralle Schoten von Senfkraut, Zuckererbsen, hier und da
Kohlpflanzen und Zucchinis, das südamerikanische Wurzelgemüse Yacon (verwandt mit Topinambur) und auch Färberpflanzen, wie z. B. Färberwaid. Im Hintergrund ein zeltartiges Holzgestell: "Das ist
unsere Schwitzhütte. Das Gestell wird abgedeckt, und innen bringen uns heiße Steine zum Schwitzen."
Das Gartengelände ist ein kleiner Teil ihres Freiraums. Hier beobachtet sie Keimen, Wachsen, Fruchten und Vergehen der Gewächse - den Kreislauf des Lebens - Bienen und Schmetterlinge. Das ist ihr
"Mikrokosmos", den sie sich auch für die große Welt wünscht: Mensch und Natur im harmonischen Zusammenleben. So ist ihre Einstellung zum Leben.
"In der freien Natur sammle ich Birkenblätter, Eichen- und Birkenrinde, Tormentillwurzeln (Blutwurz), gelbe Goldrute, Malvenblüten, Kastanien und Heidekraut. Die meisten Pflanzen färben gelb",
erklärt sie mir.
Herstellung einer Naturfarbe
Mit dieser Erklärung gelangt sie zu einem Aspekt ihres künstlerischen Schaffens, der mich von Anfang an interessiert hat. Ina Lindhammer arbeitet nämlich mit Naturfarben. Sie stellt sie auch
selber her. Wer möchte da nicht wissen, wie sie das konkret macht? Sie erklärt es mir sogleich an einem Beispiel: "Färbergut können Blätter, Schalen, Wurzeln oder Rinden sein." Und sie versetzt
mich gedanklich in die Zeit der Alchemie im Mittelalter. "Aus Birkenblättern koche ich eine Stunde lang einen Sud und lasse ihn etwas abkühlen. Alaun und Soda werden in Wasser gelöst. Die Mengen
müssen genau stimmen und alles sollte genau temperiert sein. Es darf kein Schock passieren. Gieße ich dann den durchgeseihten Sud von Birkenblättern in die Schüssel mit der Alaun- und Sodalösung,
so schlagen sich in Sekundenschnelle leuchtend gelbe Kristalle zu einer Halbkugel in der anschließend glasklaren Flüssigkeit nieder. Ein herrrlicher Anblick."
Anschließend werden die Kristalle unter einer elektrischen Leuchte getrocknet, damit die Lichtechtheit hergestellt wird und die spätere Malfarbe - eine Harz/Wachs-Emulsion - auf den Bildern nicht
verblasst.
Zur Malerei mit Naturfarben gelangte sie über die anthroposophische Richtung, eine Anschauung, welche die Welt in einer stufenweisen Entwicklung versteht, die der Mensch nachvollziehen sollte, um
höhere seelische Fähigkeiten zu entwickeln und zu übersinnlichen Erkenntnissen zu gelangen. Josef Beuys (1921 -1986) ist ihr als Mensch und Künstler Vorbild, weil er sich gegen elitäre Kunst
richtet und die Auffassung vertritt, jeder Mensch könne Kunst hervorbringen. Ina Lindhammer hat für sich den Grundsatz geprägt: Jeder soll das ausleben und zum Ausdruck bringen, was für ihn
wichtig ist. suchen im Leben und den Dingen auf den Grund gehen.
"In meiner Kindheit und Jugend habe ich nur Märchen gelesen, weil es da um die immer wiederkehrenden ewigen Wahrheiten geht, um Prüfungen, die im Leben bestanden werden müssen." Stark von ihren
subjektiven Empfindungen und Eindrücken geleitet, malt und gestaltet sie aus der Seele heraus. Deshalb behauptet sie auch von sich selbst: "Ich bin ein reiner Gefühlsmensch und liebe die
Wahrhaftigkeit."Ich glaube, es würde ihr sehr schwer fallen, ein Bild als Auftragswerk zu malen.
Romantische Erlebnisse
Zwar liebt sie das Alleinsein und stille Beobachten, hat aber auch ihre eigene Art, Menschen kennen und lieben zu lernen. "Kurz nach der Wende
hatte ich ein unvergessliches Erlebnis. Ich besuchte wieder einmal das Kunsthaus ´Tacheles´ in Berlin, Oranienburger Straße (früher Haus der Technik). Dort treffen sich Menschen aus aller Welt.
Ich hatte den Mut, den anzusprechen, der mich interessierte. Wir sind abends auf das Dach des alten Gebäudes gestiegen. In der Dachrinne wuchs eíne kleine Birke. Dort oben haben wir die ganze
Nacht zugebracht und nur geredet - romantisches Verliebtsein. Dieses stark emotionelle Erlebnis hat mich angeregt, es malerisch auf einem Bild festzuhalten."
In Lychen und in der Uckermark pflegt sie eine sehr schöne Art, Freundschaften zu knüpfen. Im September 2006 geht sie mit Holger zum ersten Mal auf ein Mondscheinfest in Templin. Bei Vollmond,
Lagerfeuer, Gitarrenspiel, Gesang und Unterhaltung lernen sie interessante Leute kennen. Im Frühling 2008 sind sie selber Gastgeber für Treffen im Mondschein. Gerne sind sie bei Veranstaltungen
im Haus Vogelsang dabei. Hier treffen sich Kunstinteressierte und Naturfreunde, die - wie Ina Lindhammer - wieder die ursprüngliche, gesunde und von Herzlichkeit geprägte Lebensweise
suchen.
Der Nachmittagsbesuch bei der jungen Künstlerfamilie an der Strelitzer Landstraße hat mit viel Freude bereitet. Ich wünschte, Ina Lindhammer hätte bald wieder Gelegenheit, ihre Malerei, Plastiken
und Filzarbeiten auszustellen.
Joachim Hantke
Vier Beispielbilder aus dem Schaffen der Malerin
1. Eine Freundin.
2. Die Hochzeit.
3. Eruption.
4. Meine Katze.