Vergangenheitsseligkeiten zu Lichen
1248 wird Lychen als Lichen in einem Dokument (A XIII 317 Kop.) geführt. Erst 1299 taucht Lychen in der Schreibweise auf. 1375 und 1454 gibt es auch noch Urkunden mit der Bezeichnung Lichen. Selbst Pfarrer Sponholz schreibt 1780 in „Nachricht von dem Ursprunge der Stadt Lichen“ und unterschreibt seinen Zeitschriftenbeitrag mit „J. P Sponholz, Prediger zu Lichen“. Nun streiten sich die Gelehrten noch über die Bedeutung des Ortsnamen. Wahrscheinlich soll der Name von der altpolabischen Grundform Lich-n`, dem Ort eines Lich-n` herrühren. Da die Gelehrten mehr Zeit zum Nachdenken haben, sollen sie diese Frage in Zukunft klären. Wichtig für Lychen ist, dass es heute noch ein Lichen` gibt. Das Dorf hat heute 1.000 Einwohner (war zwischen 15. und 17. Jahrhundert sogar Stadt – während Lychen heute nach rund 8 Jahrhunderten Stadt durch die nächste Komunalreform bald den Status Dorf erreichen wird) und liegt an einem langen, gestrecktem See ca. 12 km nordöstlich von der Stadt Konin in der Woiwodschaft Großpolen. Durch diese Gegend verlief bereits vor Gründung unserer Stadt die Bernsteinroute, die bis nach Rom bekannt war. Da wir gerade April haben, können wir davon ausgehen das ein „Lich-n`“ damals durch terra Lychen irrte und seinen Namen hier hinterließ. Egal, die Verbindungen zwischen Lychen und Lichen` sind besonders in der heutigen Zeit deutlich zu erkennen.
Beide Orte fallen durch ihre bedeutende Zahl von Einwohnern auf, die sich zu Gigantischem verpflichtet fühlen. Lychen kämpft dabei um einen Stadthafen für 2,5 Millionen €. Damit setzt Lychen Investitionen von rund 5.300 € (bei Berücksichtigung von 471 Booten pro Jahr, die über Nacht anlegen) bzw. 3.280 € für jedes Boot ein (wenn noch die 291 Boote/Jahr, die länger als eine Stunde anlegen hinzukommen). Dies für Wassertourismus am Ende einer befahrbaren Wasserroute, um den „Geiz ist geil“ - Konsumenten eine Ergänzung ihres Margarinevorrates bei Netto zu ermöglichen. Wie hieß es bereits am 30.8.1743 in dem Bericht des Lychener Bürgermeisters Gloxin zur wirtschaftlichen Lage der Stadt: Um den Handel in Lychen zu beleben hatte der Staat eine Wasserverbindung mit der Havel geschaffen. Diese Wasserstraße über die Woblitz wurde jetzt vertieft, um die (damals) bedeutende Binnen- schifffahrt und Flößerei zu erleichtern. Lychen hat dafür 1.772 Taler und 15 Groschen vorgeschossen. Doch die Erwartungen, dass Handel und Verkehr sich beleben würden, erfüllten sich nicht, weil das mecklenburgische Städtchen Fürstenberg „alle Commercien hinziehet“. Heute sind es die bereits großzügig ausgebauten Jachthäfen entlang der Wassertourismusroute Berlin - Müritz (wie z. B. eines der größten Ferienhafendörfer Deutschland bei Rheinsberg), die die „Commercien hinziehet“. Eine große Landungsbrücke mit Hafenmeister und Stadtfahne zieht niemanden an. Eine prosperierende Innenstadt mit besonderer Gastronomie und Wellness – Tingeltangel braucht der moderne Freizeitkapitän mindestens für Erzählungen vor heimatlichen Lauschern. Schöne Natur sucht er nicht im Stadthafen, sondern an Ankerplätzen in lauschigen Buchten oder z. B. an Stegen einer Insel (wie ist es mit dem Fischerwerder). Um das zu begreifen, ist nur im Sommer eine Fahrt mit der Möwe am Lychenschen Winkel vorbei nötig. Sein Knäckebrot holt sich der Skipper schnell nach Bedarf.
Ein Blick auf die Tourismusbilanz Januar bis August 2010 zeigt:
Wenn hier nicht bald ein „Monacohafen“ in Lychen entsteht, geht der Tourismus unter. Sind die Ursachen etwa wo anders zu suchen? Urlauber die bei einzelnen Lychenern sich einquartieren werden nicht erfasst, sind aber nach meiner Meinung schon immer bedeutend in der Bilanz gewesen.
Jeder Lychener hatte 2009 erst 513,54 € Schulden durch seine Stadt. Brandenburger allgemein hatten schon 574 €, da ist für Lychen noch Luft nach oben! Da nimmt die Stadt gern noch einen Kassenkredit von 67.500 € auf, um für die zusätzlich notwendigen Untersuchungen (Zählung der Libellen und Suche nach dem vom Aussterben bedrohten Heldbockkäfer) in Vorkasse zu gehen.
Um die jährlich anfallenden Unterhaltungskosten braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die Stadt baut und die in Schlange stehenden Pächter finanzieren sich aus Nebeneinnahmen. Außerdem reicht es, wenn man später beim Betrieb über die hohen Nebenkosten sich wundert, für die der Betreiber bei der Stadt um eine milde Gabe bettelt (z.B. Altes Kino). Ökonomisches Handeln bedeutet nüchterne Kalkulation auf Basis des Bedarfes und nicht die Einholung eines Gutachtens bei der Wahrsagerin, die auch noch hohe Tarife hat. Gegen eine Verbesserung im Bereich Dusche, Toilette etc. beim Stadthafen ist sicher nichts einzuwenden, aber man muss dabei auch beachten, dies in gutem Zustand über die Jahre erhalten zu können. Die existierenden Toiletten am Fürstenberger Tor weisen dabei schon auf die Grenzen hin.
Nun aber Schluss mit dem Gejammer eines Ossis. Kommen wir auf den Anfang dieses Artikels zurück und damit zum Optimismus, wie das polnische (Ursprungs-) Lichen’ es in der Neuzeit zur Spitze gebracht hat. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts (da begann auch in Lychen der Tourismus) hat der Ort sich zum zweitwichtigsten Wallfahrtsort Polens entwickelt und zieht heute jährlich ca. 1,5 Mio. Gläubige und Touristen an. Den Grundstein legte ein Bürger dieses Ortes, der für Napoleon kämpfte und 1813 bei der Völkerschlacht bei Leipzig nach seiner Verwundung die Buchsen voll hatte und in seiner Not die Mutter Gottes anrief, um in der Heimat sterben zu dürfen. Wunder geschehen immer sofort, und Maria erschien ihm als Vision, versprach ihm die Heimkehr und bat ihn als Dank ihr Bildnis zu suchen und zu Hause aufzustellen. 23 Jahre später fand der Pole ein Bild von ihr und stellte es in einer Kapelle auf. Und weil wir in Polen sind, fand sich später noch ein Schäfer der auch Marien - Erscheinungen hatte und das Bild dann in die St. – Dorothea – Kirche in Lichen` überführte. Später steuerte der Primas von Polen noch die Krone zum Bild hinzu, was nach polnischer Tradition Maria die „Königin Polens“ symbolisiert. 2004 war dann die zweite Kirche im Ort fertig, die größte Polens (7.000 Plätze) und mit dem höchsten Kirchturm Polens (128 m). Die „Basilika von Lichen` Stary“ (Stary = Stadt, so wird das Dorf genannt) ist nicht besonders schön, aber die achtgrößte Kirche in Europa. Wer sich nicht an den zusammen geramschten Baustilen in Beton stört, steht vor dem folgenden Bild.
Oh, Wunder! Die Kasse klingelt bei jährlich 1,5 Mio. Pilger und Touristen, denn da kann man an tausend Ecken ein Stückchen Wunder kaufen. Für Lychen kann das nur bedeuten – mit Mittelmaß von 2,5 Mio. € für den Stadthafen wird kein Blumentopf in Zukunft zu gewinnen sein. Zu „Wundereinnahmen“ muss mehr investiert werden.
Zum Abschluss ein Wort in eigener Sache: Ich möchte nicht zu den „Wutbürgern“ gehören, die in Lychen schon Mal den Landesrech- nungshof anonym zur Prüfung der Stadtverwaltung ins Haus schicken, um zu sehen, ob mit dem Stadthafen alles ordentlich läuft. Mir geht es mehr um materielle Grundgedanken: Muss man mit dem Schinken nach der Wurst werfen? Ein wesentlicher Anteil der Touristen für Lychen verkrümelt sich schon immer in den Bungalows der Gärten oder der einzelnen Ferienwohnung der Lychener. Sie und ihre Bedürfnisse stehen aber nicht im Focus der Betrachtung unserer städtischen Tourismusbe- trachtung!
E. Kaulich