Lychener Brücken und Schifffahrt
Vor ein paar Wochen stellten mir Herr Diederich und Uwe Jähnichen historische Fotos für Kopien zur Verfügung. Beiden auch hier meinen herzlichen Dank. In den Sammlungen fand ich Aufnahmen von der Lychener Zugbrücke in der Berliner Straße. Ich erinnerte mich, wann ich sie zum ersten Mal auf einer Abbildung zu Gesicht bekam. Das war im März 2010, als unser damaliger Stadtchronist Hans Waltrich ein Foto zum Historienstammtisch mitbrachte, auf dem die Brücke als Aquarell vom Maler Carl Jäger aus dem Jahre 1919 dargestellt war. Leider konnten wir keine weiteren Informationen, weder zum Maler, seinem Bild und dessen Verbleib, noch zur Herkunft des Fotos zusammentragen.
Zweifellos war die Zugbrücke zu ihrer Zeit für die Lychener ein kleines technisches Wunder und für Künstler pittoresk und photogen. Vor allem aber war sie eine verkehrstechnische Notwendigkeit. Für die Schifffahrt wurde sie hochgezogen, für den Straßenverkehr heruntergelassen.
1893 wurde der Mühlenbach für den Getreide- und Mehltransport mit großen Lastkähnen verbreitert. Auf einem Gedenkstein in der Mauer der Bachbefestigung ist diese Aktion mit folgenden Worten festgehalten: „Heute wurde dieser von mir erbaute Schifffahrtskanal durch den Schiffer Carl Kunowski aus Himmelpfort eröffnet. Lychen, den 23. Oktober 1893. Ed. Scherz.“
Lastkähne fuhren von da ab bis an die Mühle heran, löschten die Getreideladung und nahmen Mehl für den Rücktransport bis nach Berlin auf. Nesselpful und Köppensbach (Die Bäk) wurden zu einem wichtigen Schifffahrtsweg für Lychen. Überführende Brücken mussten deshalb hoch gebaut werden. Wie damals Gertraud Berlin auf dem Historienstammtisch wusste, wurde die erste Brücke über dem Mühlengraben im Jahre 1914 hoch gebaut.
Kurz vor dem Zusammenfluss von Köppensbach und Stadtsee befand sich das Sägewerk Köppen. Bohlen, Kanthölzer und Bretter wurden über eine Schleppbrücke auf die andere Uferseite unterhalb des Bahndamms gebracht und dort zum Abtransport mit Kähnen gelagert. Die Schiffe machten an der Schleppbrücke fest, luden das Bauholz auf und transportierten es nach Berlin. Für mich ist schwer vorstellbar, wir genau das mit den von der Mühle kommenden Schiffen abgestimmt worden war.
Auch die hölzerne Hohestegbrücke über die Verbindung vom Stadtsee zum Großen Lychensee und die Eisenbahnbrücke wurden so gebaut, dass unter ihnen Schiffe mit eingezogenem Segel oder Schornstein durchfahren konnten.
Für das Sägewerk Barnewitz war das Verladen scheinbar einfacher. An einer langen Brücke vom Ufer der Kienofenpromenade in den Stadtsee legten die Lastkähne an. Das Schnittholz wurde per Loren auf Schienen vom Werk über die Kienofenpromenade bis an die Kähne gefahren und verladen.
Die Binnenschifffahrt muss für Lychen ein einträgliches Gewerbe gewesen sein. Ende des 19. Jahrhunderts gab es bereits 30 bis 40 Schiffseigner. Mein Großvater, Julius Hackert, fuhr auch einen solchen Lastkahn. Das Leben war für solche Leute nicht leicht. Auf Kanälen und Flüssen wurden die Holzkähne getreidelt. Ehefrauen und ältere Söhne mussten die Schiffe vom Ufer aus mit um die Schultern gelegten Gurten ziehen. An der Woblitz zum Beispiel waren eigens dafür an beiden Uferseiten Wege angelegt. Nach dem Bau der Eisenbahnlinie 1898/99 und der Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene machten viele Schiffseigner um die Jahrhundertwende Pleite, unter ihnen auch meine Großeltern. Ich kann mich aber erinnern, dass noch bis in die 1950er Jahre Lastkähne an der Postablage am Stadtsee anlegten, um Holz zu laden.
Nachdem Getreide- und Mehltransport durch den Köppensbach eingestellt worden waren, wurde die Zugbrücke im Jahre 1925 beseitigt und durch eine Betonbrücke ersetzt. Über den Mühlenbach konnte nun eine flache Bogenbrücke aus Holz gespannt werden, die Hungerbrücke. So genannt nach ihrem Lychener Architekten Linus Hunger. Auch diese Holzbrücke war bis zu ihrem Lebensende ein beliebtes Motiv für Maler und Zeichner.
Hohestegbrücke und Hungerbrücke wurden 1975 durch Stahl/Betonbrücken ersetzt. Weniger schön, aber pflegeleicht.
Joachim Hantke