Die Fassbrause - eine kleine Marktkarriere
Welch' liebliche Erinnerungen rief das Glas Fassbrause in mir wach, als ich es vor einige Tagen an einem warmen Juni-Abend in der Lychener Gaststätte am Tor genüsslich trank. Von leuchtendem Rot ihre Farbe. Mit etwas Fantasie schmeckte ich Himbeer-Aroma heraus. Sie prickelte sogar auf der Zunge wie zu meinen Kindheitstagen. Damals trank ich leidenschaftlich gerne Fassbrause, die es – wie heute – abgefüllt in Flaschen gab. Damals aber mit Klick-Verschluss. Füllte man in die leere Flasche Wasser, so konnte man lustig das Flaschenteufelchen tanzen lassen.
Am liebsten war mir die Grüne mit Waldmeister-Geschmack. Eines Tages aber gab es die nicht mehr, angeblich wegen des Cumarin-Gehalts, was keiner von uns Jungs verstand, denn im Sommer, zu den Geburtstagsfeiern, stellte Mutter meistens eine Waldmeisterbowle mit frischem Kraut aus dem Buchenwald auf. Aber Himbeer- und Orangenbrause, die gab es weiterhin.
In Lychen stellte sie der Limonadenfabrikant Wilhelm Lubitz in der Vogelgesangstraße her. Das Brunnenwasser holten seine Töchter von der Schwengelpumpe vor dem Haus. Anfangs bekam er hier im Osten das Brausepulver noch nicht. Lubitz holte es sich aus Westberlin. So versorgte er die ganze Stadt mit seiner erfrischenden Limonade, bis er seine kleine Fabrik auf dem Hof aufgab, weil er keinen Nachfolger finden konnte.
Für mich waren die schönsten Augenblicke, wenn Großmutter nach der Futtersuche auf den Hohenlychener Feldern bei Ella vom Bock vor dem Ortseingang halt machte und zu mir meinte: „Jetzt hole ich Dir mal eine Flasche Waldmeisterbrause.“ Während ich diese am Straßenrand durstig trank, plauderte sie mit der alle Neuigkeiten wissenden Dame, ein Lychener Original. Und der Preis? Den konnte Großmutter allemal bezahlen! Ein messingfarbenes DDR-50-Pfennigstück gab sie hin. Und da war wohl noch etwas Trinkgeld dabei. Die leere Flasche gaben wir zurück. Sie wurde nicht weggeworfen.
Über die Jahre hinweg hielt sich die Fassbrause auf dem Markt, manchmal etwas im Hintergrund, denn neue Erfrischungsgetränke eroberten den Gaumen. Da gab es dann schon etwas mit Grapefruit-Geschmack und die Vita-Cola. Die einfache Limonade aber war immer noch die billigste – jedenfalls solange, bis sie nach der Wende ihre Karriere-Chance neu entdeckte. Von nun an avancierte sie zum Feinschmecker-Getränk. Ihren exklusiven Wert erkennend, ließ sie sich in kleineren Flaschen mit Markenetikett abfüllen.
Und so erhielten auch wir an jenem Abend die hübschen kleinen Fläschchen mit rotem Nass gefüllt, tranken sie gemächlich, Schluck für Schluck, aus und winkten zum Abschluss die Kellnerin heran: „Wir möchten bitte zahlen!“ Ich schaute auf die Rechnung und staunte nicht schlecht: Meine kleine, liebe Fassbrause mit ihren altbewährten, einfachen Zutaten, nämlich Wasser und Brausekonzentrat, hat sich auf die Höhe der Zeit in der marktorientierten Konsumgesellschaft empor geschwungen. Konkurrenzbewusst und gar nicht bescheiden wie in Kinderzeiten lässt sie sich heutzutage für stolze 2,40 Euro ausgluckern.